Erotikthriller "Babygirl": Nicole Kidman und der attraktive junge Kerl
WIEN. Erotikthriller hatten ihre große Zeit in den 80er und 90er Jahren, man denke an "Eine verhängnisvolle Affäre" oder "Basic Instinct".
Es gab auch vorher und nachher Sexthriller, doch den Gesprächswert und die Wucht damaliger Hits hatte schon lange nichts mehr. Am Donnerstag kommt nun das provokante und schön schmuddelige Drama "Babygirl" der Niederländerin Halina Reijn ins Kino.Wien/Hollywood. Nicole Kidman (57) trinkt darin auf Anweisung eines Mannes ein ganzes Glas Milch und schleckt später auf Befehl wie ein Kätzchen Milch aus einer Schüssel. Bei den Filmfestspielen von Venedig wurde sie für ihre Hauptrolle als beste Darstellerin ausgezeichnet (mit dem Preis Coppa Volpi).
Erotische Dramen - endlich aus der Sicht von Frauen
Das erotische Drama ist klüger als viele bisherige Filme, die sich mit Begehren und sexueller Treue auseinandergesetzt haben. Und es eröffnet eine andere Perspektive. Der Filmkunst hilft es ungemein, wenn nicht der Blick von Regisseuren um die Fünfzig die Story bestimmt, sondern Frauen Regie führen. Solche Filme häufen sich, man denke an das Sexarbeiterkammerspiel "Meine Stunden mit Leo" mit Emma Thompson als Witwe, die sich einen Callboy leistet.
Kidman spielt in "Babygirl" eine scheinbar glücklich verheiratete Firmenchefin namens Romy, die zu Hause beim Sex mit dem Ehemann, einem Theaterregisseur - gespielt von Antonio Banderas (64) - einen Orgasmus vortäuscht und danach heimlich schnell zu Hardcore-Pornos masturbiert. Eines Tages beginnt sie, nach viel Widerstand im eigenen Kopf, ihre Sexträume und SM-Fantasien auszuleben - mit dem viel jüngeren Praktikanten Samuel. Den durchtriebenen und gleichzeitig lieben Kerl spielt Harris Dickinson (28), den man als melancholisches Model Carl aus der Tragikomödie "Triangle of Sadness" kennen kann (Goldene Palme in Cannes 2022).
Schlüsselszene mit George-Michael-Soundtrack
Zu den Fantasien gehört es, den jungen Typen mit nacktem Oberkörper zu George Michaels Lied "Father Figure" tanzen zu sehen. In dem Song geht es um einen Mann, der die "Vaterfigur" in einer romantischen Beziehung sein will. Es ist eine kraftvolle Stelle mit Kultpotenzial. Die Autorin und Regisseurin Reijn erzählte, die Idee zu dieser intimen Szene mit dem Song als Herzstück sei quasi als Schlüsselszene sehr früh in ihrem Kopf aufgetaucht - noch bevor das Skript geschrieben war.
Das Verhältnis von Romy und Samuel wird komplizierter und zunehmend sexueller. "Geh auf die Knie", "Braves Mädchen", "Du bist mein Babygirl", "Törnt dich das an?" Samuel könnte jederzeit einen Anruf tätigen und das bürgerliche Leben und Romys Ruf zerstören. Doch gerade das macht sie an. Das Klischee von der Affäre zwischen reichem Chef und verruchter Untergebener wird hier nicht einfach nur geschlechtervertauscht pseudo-modernisiert. Der ganze Film ist subversiver als man zunächst denkt.
Provokation ist bei Regisseurin Halina Reijn (49) kein Selbstzweck. Gefeiert wird Neugier und Experimentierlust, letzten Endes die Befreiung aus moralinsauren Vorstellungen. Ist nicht alles in Ordnung, was in gegenseitigem Einvernehmen geschieht? Sollte der Arbeitsplatz tabu sein für das Anbahnen sexueller Beziehungen? Darf ich nicht alle Facetten meiner Libido akzeptieren? Wer muss eingeweiht werden, wenn zwei Menschen sich spielerisch ausprobieren wollen?
Ähnlich wie kürzlich die Französin Coralie Fargeat im Bodyhorrorfilm "The Substance" mit Demi Moore Schönheitsideale auseinandernahm, so gelingt es "Babygirl", Versatzstücke eines Filmgenres zu benutzen, um Herrschaftsverhältnisse zu zerlegen.
Weibliche Sexualität wird ernst genommen
Wie Kidman und Dickinson mit Geschlechterverhältnissen, mit Macht und Dominanz sowie mit Distanz und Nähe spielen, ist eine Freude zu sehen. Neuartig scheint, dass weibliche Sexualität ernster genommen wird als früher.
Vor bald 40 Jahren in "Fatal Attraction" mit Michael Douglas ("Eine verhängnisvolle Affäre" auf Deutsch) entpuppte sich die Frau (Glenn Close) als böse Stalkerin und mörderische Verführerin. Die Figuren wurden damals für das, was viele wohl immer noch Abgründe nennen würden, zur Rechenschaft gezogen. Die eheliche und gesellschaftliche Ordnung wurde brutal wiederhergestellt.
So etwas scheint Reijn nicht zu interessieren. Am Ende ist nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen. Das wäre auch unterkomplex bei den menschlichen Problemen wie Eifersucht, um die es hier geht. Doch so viel sei verraten: Hart bestraft, gar getötet werden muss hier niemand für seine sexuelle Lust.