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19 Tage, 18 Nächte gefangen im Eis

Von Roswitha Fitzinger, 19. September 2015, 00:04 Uhr
19 Tage, 18 Nächte gefangen im Eis
C 1987 kehrte Kenneth Thomas Cichowicz für die „Land der Berge“-Dokumentation nach Österreich zurück, mit dabei waren auch seine Frau Janet und Sohn Casey

HALLSTATT. Als "Das Wunder vom Dachstein" wurde die Rettung von Kenneth T. Cichowicz aus einer Spalte des Hallstätter Gletschers vor 30 Jahren gefeiert. Erinnerungen an einen beeindruckenden Überlebenskampf.

  • Als "Das Wunder vom Dachstein" wurde die Rettung von Kenneth T. Cichowicz aus einer Spalte des Hallstätter Gletschers vor 30 Jahren gefeiert.
  • Erinnerungen an einen beeindruckenden Überlebenskampf.

Gefangen im Eis

Allein nur mit sich und mit der Natur, schlafen unter den Sternen, fern vom beruflichen Alltag beim Militär. All das übt auf Kenneth Thomas Cichowicz eine große Faszination aus. Nicht zuletzt deshalb begibt sich der bei der US-Army in Heidelberg stationierte Soldat 1985 auf Weitwandertour in die östlichen Alpen von Bayern nach Österreich. Dafür hat er trainiert, sich intensiv und gewissenhaft vorbereitet – abseits jeglicher übertriebener Risikobereitschaft und Abenteuerlust, aber beseelt davon, einmal auszubrechen vom geordneten Leben.

Am 16. Oktober geht er los, er will den Dachstein überqueren. In einem Gasthaus nahe der Seilbahn-Talstation gönnt er sich noch eine Portion Wiener Schnitzel, dann fährt er hoch. Die Gletscherzunge hinab zur Simonyhütte, das ist sein Tagesziel. Als er sie in der Ferne, an der Horizontlinie erblickt, wählt er die direkte, scheinbar kürzere Linie. Vergessen ist der Ratschlag von Hüttenwirt Peter Reitmann der vielen Spalten wegen am Rande des Gletschers zur Hütte abzusteigen, als Cichowicz ausrutscht.

19 Tage, 18 Nächte gefangen im Eis
Eine Foto mit dem Selbstauslöser auf dem Hallstätter Gletscher, aufgenommen eine Stunde vor seinem Absturz.

70 Meter stürzt er rücklings und kopfüber einen Gletscherzungen-Eishang hinunter, bevor er zwischen Eistrümmern und Moränenschutt zum Liegen kommt. Schmerzen. Der Ohnmacht nahe verhallen seine Hilferufe ungehört. Seine rechte Körperhälfte ist stark in Mitleidenschaft gezogen, Fuß und das Handgelenk sind gebrochen, der Brustkorb schmerzt.

Überdenken der Lage. Verletztungsstatus. Hilfsmaßnahmen, unmittelbare Gefahren. Wasser. Nahrung. Wetter. Gelände. Umfeld. Ruhe bewahren. Energie sparen. Sinnlose Tätigkeiten vermeiden. Gedanken gegen Furcht und Panik richten. Hoffnungen analysieren. Den Wert des Lebens erkennen. Der Leitfaden des Überlebentrainings damals bei der Army in Vorbereitung für Vietnam schießt ihm durch den Kopf. Alles ist plötzlich wieder da, wo er doch nie mehr etwas davon wissen wollte. Unter starken Schmerzen holt er das Zelt hervor und baut sich ein Dach über den Kopf. Für Kenneth Thomas Cichowicz beginnt eine beinahe endlose Zeit des Wartens, Bangens und Hoffens. Erst am 23. Oktober erwartete ihn seine Familie zurück in Heidelberg. Er weiß: Mit einer Suchaktion ist früher nicht zu rechnen.

Am dritten Tag startet Cichowicz seine Aufzeichnungen. Postkarten, auf denen er eigentlich frohe Grußbotschaften nach Hause schicken wollte, werden zu seinem Tagebuch. Auf ihnen verewigt er seine Gefühle, seine Ängste, seinen Schmerz. Gleichzeitig will er seiner Frau Janet die Ungewissheit ersparen. Sie soll wissen, was passiert ist. Der Proviant wird rationiert, mit 300 Gramm täglich will er neun Tage durchhalten, zwei Tage veranschlagt er für die Suche der Rettungsmannschaften. Doch auch der zehnte und elfte Tag vergehen ohne die erhoffte Rettung, am dreizehnten Tag geht das Essen aus. Da er immer wieder Hubschrauber hört, spielt der Alpinist mit dem Gedanken, einen Schlafsack und andere Teile seiner Ausrüstung anzuzünden. Doch was, wenn die erhoffte Rettung ausbleibt? Es würde erst recht den Tod bedeuten.

Irgendwann hört er Stimmen, versucht sich auf dem Rücken liegend auf einen höheren Punkt zu schieben. Er gibt sein Letztes, erblickt eine Pistenraupe, winkt mit dem Eispickel und einem roten Tuch. Doch niemand sieht ihn, niemand hört ihn. Auch am 16. Tag keine Rettung.

Die Kräfte schwinden, die Hoffnung ebenso. Immer wieder wandern seine Gedanken zu seiner Familie. Noch einmal nimmt er das winzige Ding von einem Bleistiftstummel zwischen seine Finger und schreibt: "Pass auf Dich und Casey auf." Die Aufzeichnungen steckt er in einen Plastikbeutel. Dort sind sie gut geschützt.

Die Suche nach dem Amerikaner ist inzwischen eingestellt worden. Allerdings hatte man ihn in den Berchtesgardener Alpen gesucht. Ein Taxiunternehmer, mit dem sich Cichowicz unterhalten hatte, erfährt aus der Zeitung von dessen Verschwinden. Er weiß, dass der Amerikaner zum Dachstein wollte und verständigt die Exekutive. Die Suche beginnt von Neuem. Doch dass sie den seit fast drei Wochen Vermissten noch lebend finden, damit rechnet zu diesem Zeitpunkt kaum jemand. Ein Irrtum. Der Soldat ist bei seiner Rettung zwar apathisch, aber ansprechbar. "Are you looking for me?", sind die ersten Worte an seine Retter. Es ist der 4. November.

Noch immer ein "Mann der Berge"

Heute lebt Kenneth T. Cichowicz in Pennsylvania. Die Liebe zu den Bergen ist ungebrochen. Immer noch unternimmt der Pensionist große Touren, allerdings mit dem Mountainbike und nicht mehr im Alleingang. "Ein Versprechen von damals, das er gehalten hat", sagt Peter Gruber. Der Autor hat 2014 ein Buch über die Erlebnisse des Amerikaners auf dem Gletscher veröffentlicht. Die Verbindung zu Österreich sei trotz der dramatischen Erlebnisse nie ganz abgerissen. "Lange stand er in brieflichem Kontakt mit seinen Rettern", erzählt Gruber. Sein selbst gebautes Heim hätte er sogar "Haus Dachstein" genannt. 1987 besuchte die gesamte Familie für eine "Land der Berge"-Dokumentation Österreich. Bernd Seidel und Lutz Maurer stellten den Überlebenskampf Cichowiczs nach. Es war der bisher letzte Besuch des Amerikaners hierzulande. Seine Karten von damals hätte er immer noch, erzählt Gruber: "Sie sind für ihn wie ein Schatz."

19 Tage, 18 Nächte gefangen im Eis
Die Filmarbeiten zu „Das Wunder vom Dachstein“. Mit dabei auch Reinhold Messner, der die Dokumentation moderierte.

 

Die Filmarbeiten zu „Das Wunder vom Dachstein“. Mit dabei auch Reinhold Messner, der die Dokumentation moderierte.

Reportage: . Die "Land der Berge"-Dokumentation "Das Wunder vom Dachstein" wird am Samstag, 26. September, um 19.25 Uhr auf ORF III ausgestrahlt.

Buchtipp: "Das Tagebuch des Kenneth Thomas Cichowicz": Peter Gruber, Privat-Edition, 278 Seiten.

 

Ansichtskarten als Tagesbuch

Ansichtskarten als Tagebuch

 

  • Dritter Tag (19. Oktober)
    „Noch keine Rettung. Ich habe das Zelt aufgestellt und kann so eine Weile durchhalten. Aber ich kann mich nicht bewegen.“
     
  • Siebenter Tag (23. Oktober)
    „Ich konnte mein Bein nicht schienen, kollabierte zweimal, wurde vor Schmerzen bewusstlos. (...) Ich hoffe, ihr entscheidet heute, dass Walt oder Lance den Alpenverein kontaktieren, um Hilfe auszuschicken. (...) Nur mit dieser Hoffnung überlebe ich hier solange. Ich zähle auf Deine Besorgnis.“
     
  • Neunter Tag (25. Oktober)
    „Ich habe gerade mein letztes Soja gegessen. Vielleicht kommt ein Wanderer vorbei. Kümmere Dich um unseren Buben. Verlängere die Hypothek für unser Haus. Ich möchte gute und glückliche Zeiten für Euch beide.“
     
  • Fünfzehnter Tag (31. Oktober)
    „Unfall 16. Oktober. 16 Nächte auf dem Gletscher, nun 16 Jahre verheiratet! Eine sehr gute Ehe. Ich möchte klettern versuchen, trotz meiner Verletzungen. Das könnte unser letztes „Auf Wiedersehen“ sein.“
     
  • Sechzehnter Tag (1. November)
    „Ich habe das Zelt verlassen, um mit übermenschlicher Anstrengung zu einem höher gelegenen Punkt zu kriechen. Ich konnte die Pistenraupe sehen und sogar Stimmen hören. Keine Rettung. Ich wollte noch höher klettern, rutschte aber zwischen zwei Felsen aus. (...) Ich habe mein Letztes gegeben. Wenn jetzt nur ein Helikopter käme.“
     
  • Siebzehnter Tag (2. November)
    „Viel länger kann ich nicht mehr durchhalten, und jetzt fürchte ich, dass sogar meine sterblichen Überreste hier unentdeckt zurückbleiben. Auf Wiedersehen, meine einzige Liebe. Paß auf Dich und Casey auf.“

 

Ausrüstung

Ausrüstung
 

  • Zelt
  • Schlafsack
  • Thermowäsche
  • Benzinkocher
  • Essgeschirr

 

Verpflegung

  • ein Kilogramm Soja
  • ein halbes Kilogramm Trockenmüsli
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1  Kommentar
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( Kommentare)
am 19.09.2015 10:16

Ohne auf dieses Ereignis eingehen zu wollen...

Heutzutage ist die Seuche Händy dafür verantwortlich,
ob man nextes Joah nuh den Alpen Stadion Äktsch-Urlaube kreiern kann.

Ein 'mit Hirn gehen - App' muss scheinbar erst erfunden werden ...

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