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In der Wiege der Stillen Nacht

Von René Laglstorfer, 01. Dezember 2018, 00:04 Uhr
In der Wiege der Stillen Nacht
„Hausherr“ Bernhard Rohrmoser (re.) empfing Max Gurtner in der Kirche von Mariapfarr. Bild: Volker Weihbold

Der Salzburger Pfarrer Bernhard Rohrmoser und der Innviertler Max Gurtner schnapsten sich aus, wie das berühmteste Weihnachtslied der Welt wirklich entstand.

Im riesigen Pfarrhof von Mariapfarr – einst eine Wehrburg – schrieb der Salzburger Hilfspriester Joseph Mohr 1816 sein Gedicht "Stille Nacht". Am selben Ort diskutierte nun sein Nachfolger Bernhard Rohrmoser, Pfarrer von Mariapfarr, mit dem Innviertler Max Gurtner (Kustos des "Stille Nacht"-Museums im Salzburger Arnsdorf, wo der Innviertler Franz Xaver Gruber vor 200 Jahren die Melodie komponierte) über die zunehmende Kommerzialisierung des Liedes und wie "Stille Nacht" tatsächlich entstanden sein könnte.

Hoamatland: Inzwischen gibt es "Stille Nacht"-Bier, -Pralinen und in Oberndorf sogar ein "Silent Night"-Glücksspielcasino. Wie sehen Sie die zunehmende Kommerzialisierung von Stille Nacht?

Bernhard Rohrmoser: Der Joseph Mohr hat in Wagrain keinen Kopf mehr im Grab – da dreht er sich wenigstens leichter um, wenn er sieht, was heute alles aus "Stille Nacht" gemacht wird. Oft hat das Lied ein Preispickerl oben, das man immer wieder raufklebt. Und noch teurer und besser muss es sein. Noch mehr muss mit "Stille Nacht" zusammenhängen und noch weiter wird es kommerzialisiert – da bremse ich voll.

Max Gurtner: Ich sehe beide Seiten, weil es gibt auch sehr gute "Stille Nacht"-Veranstaltungen.

Rohrmoser: Veranstaltungen schon. Aber ich kann mit "Stille Nacht"-Pralinen nichts anfangen.

Gurtner: Ich auch nicht (lacht).

Rohrmoser: Bei uns in Mariapfarr wollte jemand "Stille Nacht"-Krapfen anbieten. Da habe ich gesagt, wenn ihr das tut, dann hört ihr von mir nichts mehr über Joseph Mohr.

Gurtner (lacht): Aber das ist schwer zurückzuhalten. Deshalb versuchen wir im Museum in Arnsdorf so authentisch wie möglich zu bleiben. Wir haben "Stille Nacht"-Literatur mit Büchern, DVDs und CDs, aber sonst nichts – keine Pralinen, kein Bier und kein Schnäpschen.

Rohrmoser: Gott sei Dank (lacht)!

In den ersten Jahrzehnten nach seiner Uraufführung galt "Stille Nacht" als Tiroler Volkslied. Heute ist es als Salzburger Weihnachtslied weltweit bekannt. Dabei war der Komponist Franz Xaver Gruber Oberösterreicher, und auch der Textdichter Joseph Mohr hatte mütterlicherseits oberösterreichische Wurzeln. Sind die Oberösterreicher da etwas zu bescheiden?

Gurtner: Na, so bescheiden sind wir Oberösterreicher gar nicht, weil wir immer reklamiert haben, dass wir beim "Stille Nacht"-Geschehen etwas abseits stehen und nicht ausreichend zur Geltung kommen (lacht). Aber der Gerhard Haring (von der F.X.-Gruber-Gemeinschaft in Hochburg/Ach, Anm.) und der Hans Schwarzmayr (Kustos des F.X. Gruber-Gedächtnishauses in Hochburg/Ach, Anm.) schauen schon, dass Oberösterreich mit dem Geburtsort des Komponisten die richtige Rolle bei "Stille Nacht" einnimmt. Und das machen sie super und sind wie ich mit ganzem Herzen dabei. Weil die Geschichte von den beiden Schöpfern ist schon eine Herzensangelegenheit.

Was macht "Stille Nacht" zu dem vielgesungenen Meisterwerk, das es heute ist?

Gurtner: Um zu verstehen, wo das Lied herkommt, muss man sich das Leben von Mohr anschauen. Er war ein lediges Kind, die Mutter hatte einen schlechten Ruf, der Scharfrichter war Taufpate – also alles eine äußerst demütigende Situation. Mit seiner Vergangenheit musste Mohr fertig werden. Mit dem Gedicht ist seine Vergangenheit aus ihm wieder herausgebrochen: "Ich bin nicht ein Kind der Sünde, sondern der Liebe." Aber das war ein Prozess und ein emotionaler Zusammenbruch für ihn. Deshalb glaube ich, dass Mohr mit dem Gedicht im katastrophalen Jahr 1816 ohne Sommer nicht seine Mitmenschen trösten wollte, sondern er hat es aus seinem tiefsten Inneren für sich selbst geschrieben.

Rohrmoser: Ich sehe das anders: Als Mohr in einer bitterarmen Zeit nach Mariapfarr kommt, sind viele Menschen gestorben, die Kinder tot auf die Welt gekommen. Deshalb hat Mohr den Text von "Stille Nacht" auch für seine Leute aus seinem Werdegang heraus geschrieben. Den hat er nicht wegstecken können, aber auch nicht die welt- und zeitgeschichtliche Situation, also die Franzosen-Kriege, die Bayern-Herrschaft und die Degradierung der Erzdiözese Salzburg zu einer unbedeutenden Provinz.

Das Land Salzburg war ja von 1816 bis 1849 Linz unterstellt.

Gurtner: Ein Grenzbezirk von Oberösterreich war Salzburg damals nur noch.

Welche Botschaft steckt in den sechs Strophen von "Stille Nacht"?

Gurtner: Ich glaube, die dritte, vierte und fünfte Strophe, die selten gesungen werden, beinhalten die theologische Weihnachtsbotschaft. Die anderen drei viel bekannteren Strophen sprechen eher das Gefühl an.

Rohrmoser: Da bin ich nicht ganz auf deiner Seite, Max. Die drei am meisten gesungenen Strophen sind sicher nicht nur idyllisch – da wehre ich mich dagegen. "Stille Nacht, Heilige Nacht… Holder Knab’ im lockigen Haar… Hirten erst kundgemacht" – da steckt auch die Weihnachtsbotschaft von der Menschwerdung Gottes drin. Diese Strophen kann man nicht nur auf das Gefühl reduzieren.

Es gibt ja in der Kirche von Mariapfarr ein Gemälde, das Mohr zum Text von "Stille Nacht" inspiriert haben könnte?

Rohrmoser: Mariapfarr ist die Wiege von "Stille Nacht". Der Himmel ist in allen unseren Altarbildern vergoldet. Daraus ist wohl der Lied-Vers "Aus des Himmels goldenen Höhen, der Gnaden Fülle lässt sehen" entstanden. Oder die Strophe, in der ein "Knab’ im lockigen Haar" erwähnt wird: Da haben wir einen lockigen Wuschelkopf auf dem Bild, zu dem "die Völker der Welt" kommen – Menschen mit den verschiedensten Hautfarben und Kopfbedeckungen.

Gurtner: Vor diesem Bild muss Mohr lange gekniet und es betrachtet haben – da bin ich mir ganz sicher.

Rohrmoser: Der Hilfspriester Mohr musste damals am Heiligen Abend 1816 einen Tagesmarsch in die hintersten Täler von Weißpriach oder Göriach absolvieren, um den Kranken und Sterbenden die Kommunion und die Letzte Ölung zu bringen. Dann ist Mohr zurück nach Mariapfarr gekommen, doch es war damals verboten, in der Nacht eine Christmette zu feiern, erst am nächsten Morgen. Früher hatte das Mohr aber noch mit seinem väterlichen Mentor Johann Hiernle erlebt. Da ist Mohr aus Wehmut die langen Gänge vom Pfarrhof in die finstere Kirche gegangen und hat vor dem Bild gekniet, vielleicht eine Kerze angezündet und das lockige Jesuskind, die Gottesmutter, den Josef, wie er hervorlugt, betrachtet und an seine Familie und an die Sterbenden in den Bauernhäusern gedacht, die er gerade besucht hatte. Diese persönliche Situation ist sicher auch in den Text eingeflossen.

Gurtner: Ein wichtiger Aspekt ist, dass in "Stille Nacht" kein Heiliger vorkommt, auch nicht die Maria, sondern nur die Beziehung zu Gott und Jesus, der einer von uns geworden ist. Das ist vielleicht der Grund, warum sich das Lied auf der ganzen Welt so verbreitet hat, auch unter den Protestanten. Gott ist unser Bruder geworden.

Rohrmoser: Mohr war ja auch Priester, der vom Bischof den Auftrag hatte, die Weihnachtsbotschaft zu verkünden. "Lange schon uns bedacht... Als der Herr vom Grimme befreit... In der Väter urgrauer Zeit... Aller Welt Schonung verhieß". Das ist eindeutig der strafende Gott aus dem Alten Testament. Und da sagt Mohr aus seiner Zeit des Aufwachsens heraus: Gott ist nicht böse. "Jesus, der Retter, ist da." Mohr wollte mit "Stille Nacht" den Menschen die Frohbotschaft verkünden. Ich glaube, bei diesem Lied hat sich so viel gefügt, auch mit der Regie von ganz oben. Dass sich die zwei getroffen haben, dass das Lied in die ganze Welt hinausgeht und so viele Menschen bewegt – das sind göttliche Fügungen.

In der Wiege der Stillen Nacht
Max Gurtner (l.), Kustos in Arnsdorf, und Pfarrer Bernhard Rohrmoser Bild: Volker Weihbold

Manche halten es für unwahrscheinlich, dass ein so musikalischer Mensch wie Mohr – er spielte Gitarre, Violine und Flöte – mit so fundiertem Musikunterricht (u.a. beim Bruder von Joseph Haydn) zwei Jahre lang für ein wunderschönes Gedicht keine Melodie mitdachte?

Rohrmoser: Dass Mohr den Text von "Stille Nacht" schreibt mit dem genau passenden Versmaß und der Wiederholung am Schluss, ohne sich im Kopf auch eine Melodie zusammenzureimen, kann ich mir nicht vorstellen. Mohr kannte im Gegensatz zu Gruber die Wiegenlied-Gattung "Siciliano", die bei "Stille Nacht" angewandt wurde. Ich vermute, dass Mohr dem Gruber im Jahr 1818 eine Melodie in ähnlicher Weise vorgesungen hat. Dann haben sie sich zusammengesetzt und Mohr hat gesagt: "Du nimmst jetzt ein Notenblatt in die Hand und ich mach’ mit der Gitarre die Begleitung!" Dann ist in gemeinsamer Arbeit "Stille Nacht" entstanden. Auch der Oberndorfer Pfarrer Nikolaus Erber teilt meine Meinung.

Gurtner: Der Gruber hat sicher einen wesentlichen Anteil an der Melodie von "Stille Nacht". Zuerst hat Mohr den Text nur für sich geschrieben. Aber dann hat er jemanden gefunden, der seinen Text in Musik setzen und damit für die Allgemeinheit öffnen konnte. Und diese tiefe, brüderliche Freundschaft, die man vielleicht nur erahnen kann, ist das, was das Lied ausmacht und warum es so vielen Menschen zu Herzen geht. Beim Abschied von Oberndorf 1819, als Mohr wieder in eine neue Pfarre versetzt wurde, hat ihn der Gruber nach Salzburg begleitet und ihm ein Abschiedslied komponiert, das Mohr "so sehr rührte, dass er wie ein Kind weinte", wie Gruber in einem Brief schrieb.

Angenommen, die Melodie von "Stille Nacht" war tatsächlich eine Koproduktion: Warum schreibt dann Mohr auf dem einzigen aus seiner Hand erhaltenen Autograph bei "Melodie von" nur Grubers Namen dazu?

Rohrmoser: Für mich ist das eine gewisse Bescheidenheit des Priesters Mohr, der wohl sagen wollte, "das ist ein gemeinsames Werk von uns. Mit dem Text hast du gar nichts zu tun gehabt, weil den habe ich schon zwei Jahre vorher in Mariapfarr geschrieben. Aber bei der Melodie wird dein Name angeführt, weil dir das gebührt." Alle Geheimnisse um "Stille Nacht" sind aber sicher noch nicht gelüftet. Warum haben wir im Jahr 1995 auf einmal das Autograph von Mohr gefunden? Für mich ist es auch eine Fügung, dass ihm und dem Ursprungsort Mariapfarr Genüge getan wird. Aber was tut die Welt, wenn ich plötzlich hier im Pfarrhof ein Original-Notenblatt von "Stille Nacht" finde? Weil ein Kammerl haben wir noch, wo ein Haufen alte Sachen drinnen sind (lacht).

Gurtner: Das wäre eine Sensation!

Haben wir noch Zeit zum Nachschauen?

Rohrmoser: Leider nicht (lacht), ich muss pünktlich sein im Altenheim. 1853 haben die Kirche und der Pfarrhof von Mariapfarr gebrannt und da sind in einem großen Archivraum aus Zirbenholz viele alte Dokumente verbrannt. Aber es könnte ja trotzdem sein, dass wir noch irgendwo ein altes Original-Notenblatt im Pfarrhof haben (lacht).

Gurtner: Pfarrer, such’ ein wenig! 

Zur Person

Max Gurtner: Ausdauer hat der gebürtige Mehrnbacher (73): Sein 1968 begonnenes Theologie-Studium hat er vor zwei Jahren abgeschlossen. Er war Missionshelfer in Südamerika und ist seit 2008 Kustos im Museum in Arnsdorf.

Bernhard Rohrmoser: Der 67-jährige Pongauer hat viele Gemeinsamkeiten mit Joseph Mohr. Wie sein Vorbild gilt er als sehr volksnaher, aber sturer Pfarrer, der gerne aneckt, aber in seinen bisherigen Pfarren Wagrain und Mariapfarr schon viel auf die Beine gestellt hat.

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