Inferno im Tunnel: 20 Jahre nach der Katastrophe am Kitzsteinhorn
LINZ/KAPRUN. Die Welt trauerte mit Österreich um die 155 Toten, die am 11. November 2000 im 3,2 Kilometer langen Tunnel der Kitzsteinhornbahn ums Leben kamen. Erinnerungen am 20. Jahrestag der Katastrophe.
Kaprun mit 155 Toten war das größte zivile Unglück Österreichs seit dem Brand des Ringtheaters Wien im Jahr 1881 mit 380 Toten. In der brennenden Gletscherbahn im Skigebiet Kitzsteinhorn starben vor 20 Jahren 155 Menschen, darunter 31 Kinder und Jungendliche bis 18 Jahre. 92 Opfer waren Österreicher, darunter 44 Oberösterreicher - alleine aus Wels und Umgebung stammen 32 Opfer. Die anderen Opfer kamen aus Deutschland, Japan, den USA, Slowenien, Tschechien, Großbritannien und den Niederlanden. Nach 20 Monaten Prozess wegen fahrlässiger Tötung wurden alle 16 Beschuldigten freigesprochen. Soviel zu den Zahlen und Fakten rund um die verheerende Tragödie. Doch dahinter verbergen sich unendliche Trauer und auch Wut. Dass die Justiz keine Schuldigen gefunden hat und von einer Verkettung unglücklicher Umstände spricht, macht vielen Angehörigen noch heute das Leben schwer.
Bildergalerie: In Gedenken an die Opfer der Kaprun-Katastrophe 2000
Galerie ansehenSchicksal schlug in Wels zum zweiten Mal zu
Es war schon zur liebgewordenen Tradition geworden, dass sich skibegeisterte Welser Magistratsbedienstete alljährlich zu einer Art "Kriterium des ersten Schnees" zusammenfinden. Mit Freunden und Bekannten waren es dann insgesamt 34 Personen, die auch 2000 nach Kaprun reisten. Nach dem ersten Skitag wollte die Gruppe auch das herrliche Wetter am Samstag, 11. November, ausnützen und eilte daher schon früh zur Talstation der Gletscherbahn. Um halb neun Uhr stellten sich die Welser bei der Standseilbahn an, zwei Männer entschieden sich im letzten Moment für die Gondelbahn, sie wollten bei dem strahlenden Sonnenschein nicht durch den finsteren Tunnel in die Gletscherregion fahren. Die anderen 32 vertrauten auf das Schienenfahrzeug und fuhren in den Tod.
17 Jahre zuvor kamen bei einem offiziellen Betriebsausflug elf Magistratsmitarbeiter in einem brennenden Hotel in Instanbul ums Leben. Und zwar an einem Samstag, ziemlich genau ein Jahr nach dem Amtsantritt des damaligen Bürgermeisters Karl Bregartner. 11. November 2000: Peter Koits war genau ein Jahr im Amt, die Katastrophe von Kaprun geschah ebenfalls an einem Samstag. Koits war es auch, der den trauernden Angehörigen Halt gab und seinen zutiefst getroffenen Mitarbeitern in der schweren Zeit Vorbild war.
Zum zehnten Jahrestag der Katastrophe berichteten die OÖNachrichten, dass der Schrecken immer noch nicht vorbei sei. Und Peter Koits erinnerte sich an den Unglückstag. Koits im Interview: "In uns Menschen steckt eine ungeheure Kraft".
Steyrer halfen spontan
Nicht nur zwei Welser überlebten, weil sie die Gondelbahn statt der Gletscherbahn auf den Berg nutzten. Auch eine Gruppe aus Steyr, die zu einer Lehrwarttagung mit dem Schwerpunkt Erste Hilfe am Gletscher war, entkam so der Katastrophe. "Der Zug brennt!", erfuhren die Steyrer am Gletscher vom Unglück. Sie stellten sich spontan als Helfer zur Verfügung und leisteten fünf Stunden lang aufopfernde Arbeit. Vorerst war der Landeplatz für die Hubschrauber von Transparenten freizumachen und Freiraum für die Rettungsaktion zu schaffen. Dabei halfen sie und fuhren am Abend erschöpft mit der Gondel wieder ins Tal.
Flammeninferno im Tunnel
Was war passiert an diesem 11. November 2000 beim geplanten "Sowboard-Opening". Schon mehr als 2000 Ski- und Snowboardfahrer befanden sich auf dem Gletscher, als es im Tunnel der Standseilbahn zur Tragödie kam. Eine voll besetzte Garnitur war kurz nach 9 Uhr 600 Meter nach der Einfahrt im Tunnel stehen geblieben, weil im hinteren Bereich des Waggons Feuer ausgebrochen war. Nur zwölf Passagiere konnten sich retten. Alle anderen erstickten oder verbrannten in der Tunnelröhre.
Außer den Passagieren starben der Zugführer des Unglückswaggons sowie jener der entgegenkommenden Garnitur und drei Personen in der Bergstation der Bahn. Während die Insassen der Bahn verbrannten, erlagen die Menschen in der Bergstation Rauchgasvergiftungen. Das Flammeninferno ließ von der Bahn nur noch das Fahrgestell übrig, der Rest wurde komplett zerstört.
Dass die Schienen sehr steil (42,8 Prozent Steigung) bergauf führen, förderte den so genannten gefürchteten Kamin-Effekt: Das Feuer macht die Röhre zu einem Schlot, der am unteren Eingang Luft ansaugt, die die Flammen weiter anfacht. Eine verheerende Spirale.
Heizstrahler löste in Kaprun Katastrophe aus
Im September 2001, zehn Monate nach der Katastrophe, stellte der Salzburger Landesgerichtspräsident das Endergebnis von fünf koordinierten Gutachten zur Brandkatastophe vor. Danach führte ein Zusammenwirken mehrerer Faktoren zu der Katastrophe, als Hauptauslöser galt ein Defekt in einem "handelsüblichen Heizlüfter". Das Gerät war weder für den Einbau noch für den Betrieb in Fahrzeugen zugelassen. Ein Ventilator habe ausgesetzt, Hydrauliköl sei ausgetreten, der Brand habe schon in der Talstation begonnen.
Ein im Dezember 2001 vorgelegter Endbericht der vom Verkehrsministerium beauftragten internationalen Tunnelkommission besagte, dass auch nach den 155 Toten von Kaprun kein Anlass bestünde, unterirdisch geführte Standseilbahnen grundsätzlich zu verbieten bzw. stillzulegen. Auf Grund des erst in Folge der Ereignisse von Kaprun erkannten neuen Gefährdungsbildes sowie der danach auch in Frankreich und in der Schweiz durchgeführten Untersuchungen rieten die Fachleute aber, zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen bei bestehenden Anlagen durchzuführen. Als mögliche Maßnahmen nennt die Kommission die Einrichtung von automatisch wirkenden Löschgeräten in einzelnen brandgefährdeten Einrichtungen (Elektrokästen, Ventilatoren, Motoren, Batterien etc.), um eine Brandentstehung im Wagen selbst zu verhindern. Außerdem sei die Installierung einer Notbeleuchtung für ein künftiges Anlagenkonzept in einem Seilbahntunnel für Bergungen zweckmäßig, betonte die siebenköpfige Expertenkommission in ihrem Bericht.
Auch zweite Kapruner Bahn war eine Zeitbombe
Im März 2002 belegte eine brisante Studie, dass auch in der zweiten Bahn Hydrauliköl ausgelaufen und in die Waggonwand neben dem Heizlüfter gesickert war. Das schwerste Seilbahnunglück in der Geschichte Österreichs sei vor allem auf drei Konstruktionsfehler zurückzuführen, sagte der Sachverständige Klaus Hellmich. Erstens sei der Wagenkasten aus Kunststoff statt aus Metall gewesen. Dadurch habe es brennbare Materialien und toxische Gase gegeben, an denen die Opfer erstickt seien. Zweitens konnten die Türen nicht von innen geöffnet werden und drittens fehlten in dem Waggon Feuerlöscher. Für diese Fehler, die auch den zweiten Zug beträfen, seien die Seilbahnbehörde und die Hersteller der Standseilbahn verantwortlich, heißt es in dem Gutachten der Sachverständigenorganisation Dekra. In Auftrag gegeben wurde das Gutachten von der Staatsanwaltschaft Salzburg.
Prozesse mit Freisprüchen und Entschädigungen
Der Prozess zur Schuldfrage begann 2002 in Salzburg. Angeklagt waren 16 Personen. 2004 wurden alle 16 Beschuldigten freigesprochen. Keinen der Beschuldigten treffe eine unmittelbare Schuld, hieß es sinngemäß in der Urteilsbegründung. Alle damals geltenden Bestimmungen seien eingehalten worden. Als Auslöser der Katastrophe wurde ein defekter Heizstrahler im Führerhaus festgestellt. Der Materialfehler könne aber keinem der Angeklagten zur Last gelegt werden.
Die Staatsanwaltschaft Salzburg legte gegen acht der Freisprüche Berufung ein. In zweiter Instanz mussten sich vor dem Oberlandesgericht Linz verantworten: der Technische Direktor der Gletscherbahnen Kaprun, der Betriebsleiter, die beiden Mitarbeiter der Firma Swoboda, die für den Wagenaufbau des Unglückszuges verantwortlich zeichneten, zwei Mitarbeiter des Technischen Überprüfungsvereins (TÜV) sowie zwei Sachverständige des Verkehrsministeriums - Experten für Seilbahnen und Eisenbahnen. Ein Jahr später, 2005 kurz vor dem 5. Jahrestag der Brandkatastrophe, hat der Richtersenat 9 des Oberlandesgerichtes Linz auch diese acht Freisprüche bestätigt.
2011 ist auch der Opferanwalt Gerhard Podovsovnik mit seiner Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg abgeblitzt. Der Rechtsanwalt hatte eine Wiederaufnahme des Verfahrens angestrebt, weil seiner Ansicht nach in Österreich kein faires Strafverfahren durchgeführt worden sei. Diese Beschwerde wurde abgelehnt.
Am 7. November 2007 wurde die Gletscherbahn-Katastrophe, die am 11. November 2000 insgesamt 155 Menschenleben gefordert hatte, strafrechtlich endgültig abgeschlossen. Die Prozesskosten betrugen ca. 2,5 Millionen Euro. 2008 wurde nach einem jahrelangen Rechtsstreit um die Entschädigungszahlungen für die Angehörigen der Opfer ein Vergleichsbetrag in der Höhe von 13,9 Millionen Euro ausgezahlt.
OÖN-Christkindl vergisst Kaprun-Waisen nicht
In vielen Jahren seit der Kaprun-Katastrophe haben die OÖNachrichten oberösterreichischen Familien von Kaprun-Opfern geholfen. So hatten auch Sandra und Jutta ihre Eltern bei dem Brandinferno verloren. "Wir kämpfen täglich", sagte Herta K. 2005 im OÖN-Christkindl-Interview. Sie und ihr Mann kannten nur ein Ziel: ihren beiden Enkeltöchtern wieder Halt zu geben. Das Pensionisten-Ehepaar erkämpfte sich das Sorgerecht, beglich die Schulden für das Haus des Sohnes, um es nicht verkaufen zu müssen. Die Enkelinnen sollten später einmal selber entscheiden können, was mit dem "Mama-Papa-Haus"geschieht.
Der seelische Schmerz wiege mit der Zeit nicht mehr so schwer wie am Anfang. "Man vergisst schon ein bisserl und spürt, dass alles leichter wird", sagte die Pensionistin. Finanziell lebt die Familie von Pension und Waisenrente. Was bleibe, sei nicht viel, aber Jammern liegt der 67-Jährigen fern. "Ich bin für jeden Tag dankbar, den ich etwas für sie tun kann." Ihre größte Sorge sei eine andere: nicht mehr lange genug für die Mädchen sorgen zu können. Die finanzielle Last drückt aber dennoch - und so half das OÖN-Christkindl im Jahr 2005.
Lichtermeer und Tränen in Kaprun
„Es liegt in unserer Verantwortung, dieses Ereignis nie zu vergessen“, sagte der Kapruner Bürgermeister Norbert Karlsböck am 11. November 2010 - an einem feuchten, kühlen Novembertag. Es war der 10. Jahrestag der Katastrophe, bei dem auch Familienangehörige der Opfer aus Oberösterreich und die OÖNachrichten zum Gedenken nach Kaprun gereist sind.
Bildergalerie: Gedenken an die Kaprun-Katastrophe am 11. November 2000
Galerie ansehenÄlteste alpine U-Bahn
Die Standseilbahn auf das Kitzsteinhorn war die erste alpine U-Bahn der Welt. Am 20. März 1974 brachten die beiden Schienenzüge erstmals Skifahrer in die Gletscherregion oberhalb von Kaprun. Der Gletscherexpreß zum Alpincenter am Kitzsteinhorn überwindet eine Höhendifferenz von 1534 Metern (die Talstation liegt auf 911 Metern). Der Schmiedinger Kees, der vom 3203 Meter hohen Kitzsteinhorn überragt wird, gehört zur Glocknergruppe in den Hohen Tauern.
Es gibt Katastrophen, wie eben Kaprun, 9/11 etc. und Verbrechen, wie der Mord an Martina Posch etc., die man NIE in seinem Leben vergessen wird, weil sie so schrecklich waren!
Zum Richter Manfred S. ist zu sagen, dass ich ihn von einem seiner "Nebenjobs" her kannte und mich damals immer wunderte, wie es möglich sei, dass ein - noch ziemlich junger - Beamter seine Dienstzeit, d.h. Anwesenheit bei Gericht, so "flexibel" handhaben konnte ....
Wegen seiner Schwächen
wurde er aber auch zum Kaprunrichter bestimmt.
Ich glaube, Schüssel kannte seine Leute.
Meine Frage ist, was ist aus so einem Menschen geworden ?
Was war der Dank für sein Urteil ?
Ich meine nicht den der Hinterbliebenen !
Die tragischen TV-Bilder der Katastrophe haben sich eingebrannt.
Im Bezug auf das Urteil und Technik: Im Nachhinein ist man (leider) immer klüger.
Die Bilderserie zeigt nicht die ursprüngliche - nun geschlossene Tunnelbahn.
@Schweinchen haben Sie sich überhaupt jemals mit den Vorgängen in Kaprun befasst ?
Ich glaube nicht.
Ein höchst umstrittener Richter S.der bei Urteilsverkündung sagt: "Gott hat für einige Minuten das Licht im Tunnel ausgemacht"
Ein eigentlich für den Betrieb in einem Badezimmer gebautes Heizgerät, das unter Missachtung der Gebrauchsanweisung und einfachster technischer Grundlagen zerlegt und nachträglich in die Führerkabinen der Gletscherbahn eingebaut worden war.
Schlampereien und Fahrlässigkeiten.Keine Feuerlöscher in der Bahn, keine Notbeleuchtung im Tunnel,Türen im Notfall von innen nicht zu öffnen.
Ihr schreibt immer noch "Heizstrahler" ein Begriff aus den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Das war ein Heizlüfter, ist auch technisch was anderes.
Hier im Forum sind nicht nur Techniker! Und es ist völlig egal, ob Strahler oder Heizlüfter, jedenfalls war das eingebaute Gerät nicht zugelassen zum Einbau in dieser Bahn! Da diese "Heizung" nicht von alleine in die Bahn gekommen ist und sich eigenständig montieren konnte, ist jemand für den Kauf, die Montage und den Betrieb zuständig gewesen! Auch die Kontrollorgane vom TÜV hätten wissen MÜSSEN, dass dieses Gerät dort nicht sein durfte! Ebenso hätten diese Experten wissen MÜSSEN, dass es ein Not-Öffnung für die Türen geben MUSS und Feuerlöscher in der Bahn! Immerhin fuhr die Bahn ja fast 4 km durch einen Tunnel OHNE parallelen NOTTUNNEL!!!
Niemals werde ich den Tag der Katastrophe vergessen und mindestens genau so schlimm ist das Schandurteil! Konstruktionsfehler und nicht eingehaltene Sicherheitsvorschriften sind von Menschen gemacht worden und KEINER hat dafür gesühnt! Der Richter Manfred S. hat mit diesem Urteil große Schuld auf sich geladen! Ich würde nie in diesen Ort auf Urlaub fahren, weil ich immer an das Unglück denken müsste.
Mir geht es genau so wie Ihnen.Mangelnde Sicherheitsvorkehrungen und Konstruktionsfehler hätten zwingend Konsequenzen für die Verantwortlichen haben müssen.Für was sind die "Sachverständigen" verantwortlich ? Ein Skandal.
Das "Urteil" ist eine Schande für Österreich.Niemand ist schuld.Einfach Unglaublich.
Mir läuft es heute noch noch eiskalt über den Rücken ! Einen Winter davor bin ich mit dieser Bahn auch hinaufgefahren.
Im Winter davor sind Sie sicher unbesorgt raufgefahren. Sie haben keinen Feuerlöscher oder Türgriff vermisst?
Im Nachhinein weiß man alles besser.
Was Sie nicht alles wissen "Im Winter davor sind Sie sicher unbesorgt raufgefahren"
Nein bin ich nicht ! Ab dem zweiten Tag habe ich dann die Seilbahn benützt weil ich in der Standseilbahn ein komisches Gefühl hatte.
Ihre Floskel " im Nachhinein weiß man alles besser" entschuldigt nicht das gravierende Fehlverhalten aller Verantwortlichen.