Queen Elizabeth II. ist tot
LONDON. Die britische Königin Elizabeth II. ist tot. Wie der Palast mitteilte, starb die Queen am Donnerstag im Alter von 96 Jahren friedlich auf ihrem schottischen Landsitz Schloss Balmoral.
Sie war fraglos die berühmteste Frau auf dem Planeten. Nie hat es einen Monarchen im britischen Königreich gegeben, der älter wurde oder länger regiert hätte. Ihre Herrschaft umspannt eine Zeit, an die sich die meisten ihrer Untertanen gar nicht erinnern können. Was für ein anderes Großbritannien war das, vor sechsundneunzig Jahren: Frauen unter 30 Jahre durften nicht wählen, Auspeitschungen waren ein akzeptiertes Mittel des Strafvollzuges und Homosexuelle warf man ins Gefängnis. Als Elizabeth Alexandra Mary Windsor am 21. April 1926 geboren wurde, umfasste das britische Empire noch über ein Fünftel des Erdballs. Wenn die Queen neun Dekaden später zurückblickte, mochte sie vielleicht bedauern, dass die Krone ein Weltreich verloren hat. Aber auf die Bilanz ihrer 70 Jahre auf dem Thron konnte sie stolz sein.
Dabei war sie als Tochter des zweitältesten Königssohnes Albert und der schottischen Gräfin Elizabeth Bowes-Lyon gar nicht für den Thron bestimmt. Sie wuchs in äußerst behüteten Verhältnissen auf – kaum Kontakt zu Gleichaltrigen, keine Freundschaften mit gemeinen, also nicht-aristokratischen Kindern, stattdessen Privatunterricht zu Hause durch eine Gouvernante. Aus ihren Kinderjahren ist überliefert, dass sie am liebsten „einen Farmer heiraten und viele Kühe, Pferde und Kinder haben“ will. Daraus konnte spätesten dann nichts mehr werden, als die Abdankung von Edward VIII. im Dezember 1936 ihren Vater zum König beförderte. Im Alter von zehn Jahren war Elizabeth plötzlich „mutmaßliche Thronerbin“. Der Drill für die zukünftige Monarchin begann. Elizabeth hatte Verfassungsgeschichte und Recht zu studieren, ihre Neigungen fürs Theater, Schwimmen und Reiten durfte sie in ihrer Freizeit nachkommen. Sie musste sich damit abfinden, auf längere Zeit von ihren Eltern getrennt zu sein, die auf Auslandsreisen entschwanden – ein Muster, das sich bei ihren eigenen Kindern wiederholen sollte. Und als Ehemann kam natürlich kein Landwirt mehr in Frage. Elizabeth heiratete 1947 Prinz Philip Mountbatten, den Sohn des entthronten Königs von Griechenland und Ur-Ur-Enkel von Queen Victoria.
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Galerie ansehenAn ihrem 21. Geburtstag machte sie in ihrer ersten großen öffentlichen Ansprache ein erstaunliches Gelöbnis: „Ich erkläre vor euch“, versprach sie ihren Zuhörern, „dass mein ganzes Leben, sei es kurz oder lang, dem Dienst an euch und dem Dienst an der großen imperialen Familie gewidmet sein wird.“ Gemeint damit war der Commonwealth, der lose Staatenverbund ehemaliger britischer Kolonien. Was diese Verpflichtung bedeutete, haben viele andere Royals nie begriffen: Es war das Versprechen von Selbstlosigkeit, Pflichtbewusstsein und Disziplin. Es bedeutete den öffentlichen Verzicht auf Selbstverwirklichung. Der Anspruch auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit wurde ersetzt durch das preußisch anmutende Ideal, die erste Dienerin ihres Königreichs sein zu wollen. Kein anderes Mitglied ihrer Familie ist so weit in dieser Selbstverneinung gegangen: Prinz Philip nicht, der immer mal wieder durch geschmacklose Scherze aus der Rolle fiel, die Kinder nicht, die ihre Ehen in den Sand setzten, und die Schwiegertöchter Fergie und Diana mit ihren frivolen Eskapaden schon gar nicht.
Über den Moment ihrer Thronbesteigung gibt es eine Anekdote, von der man nicht so recht weiß, ob sie wahr ist. Die 25-jährige Prinzessin Elizabeth befand sich auf einem Staatsbesuch in Afrika und besuchte das Hotel „Treetops“ in Kenia, das aus einem Baumhaus bestand, das an einer Wasserstelle im Aberdare-Nationalpark lag. Sie soll dort, so hat ein Höfling bezeugt, in dem Moment als ihr Vater starb, ein Rhinozeros beobachtet haben und ein Adler sei über ihren Kopf gezogen. „Ein Mädchen kletterte den Baum hinauf als Prinzessin“, schrieb der Schriftsteller und Naturschützer Jim Corbett ins Gästebuch des Hotels, „und stieg als Königin herab“. Denn zum Zeitpunkt des Ablebens von George VI. wurde seine Tochter zur Queen Elizabeth II. Doch mit der Krönung sollte es noch mehr als ein Jahr dauern.
Ob die Anekdote nun stimmt oder nur gut erfunden ist, so ist der Adler doch eine hübsche Note. Würde Elizabeths Herrschaft so prachtvoll und erfolgreich sein, wie die erste elisabethanische Regierungszeit? Damals, unter Elizabeth I. vor fast 400 Jahren, war das Königreich auf seinem Weg zur Weltmacht: Sir Francis Drake schlug die spanische Armada, Walter Raleigh brachte Schätze aus fernen Ländern, Shakespeare schrieb ein Meisterwerk nach dem anderen. Das Großbritannien des Jahres 1952 war ein anderer, weit glanzloserer Ort. Das Königreich litt unter den Nachwehen des Zweiten Weltkrieges, das Land war finanziell ausgeblutet. Das vor wenigen Jahren noch mächtige Empire verlor eine Kolonie nach der anderen in die Unabhängigkeit. Lebensmittel wurden immer noch rationiert, die Wohnungsnot war groß. Und doch sprachen die Briten, als Elizabeth 1952 den Thron bestieg und 16 Monate später in der Westminster Abbey gekrönt wurde, von einem zweiten prachtvollen elisabethanischen Zeitalter, das nun kommen würde. Die Begeisterung für die neue junge Queen war grenzenlos. Das farbenprächtige Spektakel der Krönung goss Balsam auf die Seele des Volkes. Man spürte: Hier war der Aufbruch. Der damalige Premierminister Winston Churchill sprach im Parlament von der Hoffnung auf ein kommendes „goldenes Zeitalter“, das mit Elizabeths Thronfolge anbrechen könne: „Wenn die Nationen sich nur gegenseitig gewähren lassen, dann kann ein immenser und unerhörter Wohlstand zu den Volksmassen in jedem Land kommen.“
Nun ja, soviel ist unbestritten, die Herrschaft von Elizabeth II. hat ihre Untertanen sicherlich nicht ärmer gemacht. Heute ist, trotz Brexit und Corona, das Vereinigte Königreich immer noch die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt. Als Nuklearmacht mit ständigem Sitz im UN-Sicherheitsrat übt Großbritannien international großen Einfluss aus. Und man sollte nicht vergessen, dass die Queen auch Staatsoberhaupt in Australien, Kanada, Neuseeland und weiteren zwölf Ländern ist. Mit dem Commonwealth, der Gemeinschaft ehemaliger britischer Kolonien, an deren Spitze sie steht, spielt das Land immer noch eine globale Rolle. Und die Königin symbolisierte durch ihre 70-jährige Herrschaft die Kontinuität dieser Erfolgsgeschichte. Sie war die große Konstante über sieben in vielerlei anderer Hinsicht umwälzende Jahrzehnte.
Video: Die britische Politologin Melanie Sully spricht über den Tod von Queen Elisabeth II.
Kontinuität und Tradition
Ihre schiere Ausdauer war der größte Trumpf für die Windsors. Immerhin ist Monarchie ohne Kontinuität und Tradition nicht denkbar – und was verkörperte Elizabeth II. nicht deutlicher als Kontinuität, die Verweigerung des Wandels, die bei ihr persönlich bis zur Selbstverleugnung geht? Bis zum Tod der Queen Mum schätzten die Briten die rüstige Langlebigkeit der Königinmutter als eine Art Vitalitätsbeweis für die Monarchie. Danach hatte die Queen diese Rolle der „eisernen Oma der Nation“ übernommen und man verehrte sie, weil sie den Job schon so lange und so makellos und immer in dem gleichen würdigen und liebenswürdigen Stil gemacht hat. Dazu kam ihre Rolle als moralische Instanz in einer Zeit des umgreifenden Wertewandels. „Die Lehren Christi“, bekannte sie, „und meine eigene persönliche Verantwortung vor Gott geben mir den Rahmen, in dem ich mein Leben zu führen versuche.“ Das mag vielleicht nicht auf der Höhe der philosophischen Postmoderne sein, beeindruckt aber dennoch durch seine stoische Charakterstärke. Den Untertanen zeigte es eine klare moralische Perspektive. Niemand, so sagt man, der von der Queen in den Adelsstand erhoben wurde, wagte es fortan, bei der Steuererklärung zu schummeln.
Beispiellose Popularität und kritische Momente
So gut die Monarchie aufgestellt ist, so hatte die Regentschaft der Queen doch auch ihre kritischen Momente. Die 90er Jahre bedeuteten ein einziges Desaster für die Popularität der Institution. Die Skandale um Prinzessin Diana, um Fergie und um Sophie, die Gräfin von Wessex, hatten ein ums andere Mal Öl auf das Feuer der „königlichen Seifenoper“ gegossen und zu einer immer kritischeren Einstellung der Briten gegenüber der „Firma“ geführt. Als 1992 das Lieblingsschloss der Königin Windsor Castle teilweise abbrannte, bestand die öffentliche Reaktion nicht im Mitleid über das Unglück, sondern im Verdruss darüber, dass der Schaden mit Steuergeldern wieder gerichtet werden sollte. Selbst als die Queen hinterher anbot, demnächst selbst Einkommenssteuer zahlen zu wollen, führte das nur zu einem geknurrten „Na endlich“ der Boulevardpresse. Richtig kritisch wurde es 1997 mit dem Tod von Prinzessin Diana. Während das ganze Land in einen kollektiven Trauerrausch verfiel, weigerte sich Buckingham Palast, die königliche Standarte auf Halbmast zu senken. Die Queen, empörten sich darauf die Massenblätter, teile nicht den Schmerz der Öffentlichkeit. Von königlicher Kälte und Unnahbarkeit war die Rede. Im Namen Dianas forderten die Briten damals eine andere Monarchie: den Abschied von steifer Hofetikette und die Heraufkunft dessen, wofür die Volksprinzessin stand: Individualität, Wärme, Mitgefühl, die Einbeziehung von Minderheiten, das Eintreten für Vielfalt. Republikaner witterten damals Morgenluft.
Man hat die Krise überstanden, und die Queen erfreute sich schnell wieder beispielloser Popularität. Aber kurz vor ihrem Platin-Jubiläum, den Feiern zu ihrer 70-jährigen Herrschaft in diesem Jahr, zog Unheil auf. Ihr Lieblingssohn Prinz Andrew musste sich einem Zivilprozess in New York stellen, in dem ihm sexueller Missbrauch einer Minderjährigen vorgeworfen wird und den er nur mit einem teuren Vergleich abwehren konnte. Andrews Verbindungen zum amerikanischen Multimillonär und verurteilten Pädophilen Jeffrey Epstein hatten schon zuvor am Image des Königshauses gekratzt. Die Queen hatte hart durchgegriffen, die militärischen Titel Andrews kassiert und ihn ins interne Exil geschickt. Auch der sogenannte Megxit, der Abschied von Prinz Harry und seiner Frau Meghan von royalen Pflichten und ihr Umzug nach Kalifornien, hatte dem Ansehen des Hauses geschadet. Heute ist es vor allem William, die Nummer Drei der Thronfolge, und seine Familie, die als Garanten der Zukunft der Monarchie gelten.
Ein Anker in stürmischen Zeiten
Mit der Queen verlieren die Briten nicht nur eine geliebte Matriarchin. Sie hat 15 Premierminister in wöchentlichen Audienzen empfangen: Wer sonst hat soviel Zeitgeschichte persönlich erlebt wie Elizabeth II.? Sie ist so alt geworden, dass sich praktisch niemand im Königreich daran erinnern könnte, dass sie einmal nicht da war. Und eine Welt ohne sie können die Briten sich gar nicht vorstellen. Jetzt graut es bei dem Gedanken, dass sie von nun an nicht mehr über sie herrschen wird. Sie gab ihnen Halt, sie war der Garant für Stabilität: ein Anker in stürmischen Zeiten, wenn ein Epochenbruch wie der Brexit oder Corona oder ein erneuter Krieg in Europa das Land erschüttern. Jetzt hat die Nation diesen Anker nicht mehr. Jetzt ist dort, wo das die Bürger zusammenbringende Band einmal war, ein großes Loch. Wie Großbritannien mit diesem Verlust umgehen wird, ist völlig offen.
Video: Christian Hatschek, Vize-Präsident des heeresgeschichtlichen Museums in Wien, spricht über das weitere Prozedere nach dem Tod von Queen Elisabeth II.
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