„Für Assad gehen noch immer Hunderttausende auf die Straßen“
DAMASKUS. „Noch ist Syriens Präsident Assad nicht in Gefahr“, sagt der libanesischen Publizist und Universitätsprofessor Omar Nashabah im Interview mit den OÖNachrichten. Der Nahost-Experte warnt vor einem Zerfall Syriens.
OÖN: Die arabische Revolte scheint zu stocken.
Omar Nashabah: Der „arabische Frühling“ geht durch eine sehr turbulente Phase. Wir Araber sehnen uns nach echter Demokratie. Leider gibt es so viele, die den arabischen Frühling torpedieren.
OÖN: Zum Beispiel?
Nashabah: Saudi-Arabien spielt eine negative Rolle. Die Herrscher setzen alles daran, ihr totalitäres System aufrechtzuerhalten. Indem Saudi-Arabien die totalitären Regime unterstützt, will es sich selbst schützen.
OÖN: Wie ist die Lage in Syrien, ist Assad in Gefahr?
Nashabah: Noch nicht. Vergessen Sie nicht, dass zwei Millionen Syrer Mitglieder der Baath-Partei sind. 600.000 Leute sind in der Armee. Hinzu kommen die Alawiten, Christen und einige Sunniten aus der Mittelschicht, die sich mit Assad arrangiert haben. Vor allem die Christen haben Angst vor den Fundamentalisten, weil sie die am besten organisierte Gruppe sind. Sollten diese Unruhen aber weitergehen, besteht die Gefahr eines Bürgerkrieges, oder sogar einer Teilung Syriens.
OÖN: Assad hat Reformen versprochen...
Nashabah: Er hat Reformen eingeleitet, vielleicht halbherzig. Für Syrien hat Assad aber unvorstellbare Schritte getan. Er hat den Notstand aufgehoben und eine Konferenz von Oppositionellen, auf der die Abschaffung des Polizeistaates gefordert wurde, gestattet. Für einen Diktator wie Assad sind das Veränderungen, die sein Vater nie erlaubt hätte.
OÖN: Dennoch fordert die Opposition seinen Sturz?
Nashabah: Ja. Ein friedlicher Machtwechsel in Syrien ist aber nicht garantiert. Wir hier im Libanon wissen, was es heißt, wenn ein Land durch einen Bürgerkrieg zerstört wird. Wir wissen, was es heißt, wenn der Staat kollabiert. Das darf sich in Syrien nicht wiederholen. Dennoch wird es passieren, wenn wir uns weiter auf dem Pfad der Eskalation bewegen.
OÖN: Vieles deutet darauf hin.
Nashabah: In Syrien erleben wir eine Spaltung der Gesellschaft. Ein Teil ist gegen, der andere für Assad. Für den Diktator gehen noch immer Hunderttausende auf die Straßen, worüber im Westen kaum berichtet wird. Ägyptens Ex-Präsident Mubarak konnte vor seinem Sturz nur einige Hundert Schläger mobilisieren.
OÖN: Syriens Präsident spricht von einer Verschwörung?
Nashabah: Es gibt auch Kräfte in Syrien, die vom Westen unterstützt werden, um das Regime zu zerstören.
OÖN: Warum?
Nashabah: Weil Syrien, ein enger Verbündeter des Iran, Hisbollah und Hamas unterstützt und mit seiner Bündnispolitik die Sicherheit von Israel gefährdet.
Kämpfe
Scud-Raketen
Weil die Rebellen in Libyen zunehmend an Boden gewinnen, greift Machthaber Muammar al-Gaddafi jetzt offenbar zu härteren Waffen. Regierungstruppen haben gestern erstmals seit Beginn der internationalen Luftangriffe eine Scud-Rakete abgefeuert. Die Kurzstreckenrakete habe aber ihr Ziel verfehlt und sei in der Wüste gelandet, erklärte das US-Verteidigungsministerium. Experten zufolge besitzt Libyen etwa 240 von der Sowjetunion produzierte Scud-Raketen mit einer Reichweite von etwa 300 Kilometern.
Die Rebellen dementierten inzwischen erneute Berichte über Geheimverhandlungen mit Vertretern Gaddafis. „Es gibt keine Verhandlungen, weder in Tunesien noch anderswo“, hieß es.
Erschossen
Mit Massenfestnahmen und Angriffen auf mehrere Ortschaften haben die syrischen Regierungstruppen gestern weiter versucht, den Protest gegen das Regime zu unterdrücken. Das Militär hielt die Küstenstadt Latakia umzingelt. Der Nachrichtensender Al-Jazeera meldete, allein in Latakia seien 15 Menschen getötet worden. In Homs haben Sicherheitskräfte bei einer Solidaritätskundgebung für das belagerte Latakia mindestens zwölf Demonstranten erschossen.