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Russischer Großangriff auf Energieanlagen in der Ukraine

Von nachrichten.at/apa, 13. Dezember 2024, 11:03 Uhr
Angriff auf Energieanlagen der Ukraine
"Das ist einer der größten Angriffe auf unser Energiesystem", sagte der ukrainische Präsident Selenskyj. Bild: (APA/AFP/ANATOLII STEPANOV)

KIEW. Russland hat nach ukrainischen Angaben am Freitag einen groß angelegten Angriff auf Energieanlagen der Ukraine gestartet.

Das teilte Energieminister German Galuschtschenko mit. Im ganzen Land wurde Luftalarm gegeben, nachdem die ukrainische Luftwaffe vor Raketenbeschuss im Zusammenhang mit dem Angriff gewarnt hatte. Nach Angaben des nationalen Netzbetreibers Ukrenergo war die Stromversorgung in der ganzen Ukraine eingeschränkt.

Laut der ukrainischen Luftwaffe hat das russische Militär auch mehrere MiG-31-Kampfflugzeuge gestartet, die mit Hyperschallraketen des Typs Kinschal ausgestattet waren. Militärbeobachtern zufolge wurden Kinschal auf Ziele in der Westukraine im Bereich des Wärmekraftwerks Burschtyn und den Militärflughafen Starokostjantyniw abgeschossen. Mehrere Einschläge von Marschflugkörpern habe es im südukrainischen Gebiet Odessa gegeben. Offizielle Bestätigungen gab es zunächst nicht.

Selenskyj: Mehr als 90 Raketen

Insgesamt feuerte Russland mehr als 90 Raketen ab. "Es gelang, 81 Raketen abzuschießen", schrieb Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj auf Telegram. Davon seien 11 Marschflugkörper von aus dem Westen gelieferten F-16-Kampfflugzeugen abgefangen worden. Vor der Raketenattacke seien zudem knapp 200 Kampfdrohnen von Russland eingesetzt worden. "Das ist einer der größten Angriffe auf unser Energiesystem", stellte Selenskyj fest. Die Ukraine wehrt sich mit westlicher Hilfe seit mehr als zweieinhalb Jahren gegen eine russische Invasion.

Selenskyj erneuerte seine Aufrufe an die westlichen Verbündeten, mehr Flugabwehrsysteme zu liefern. Auch seien wirksamere Sanktionen gegen Russland nötig. "Erdöl gibt (dem russischen Präsidenten Wladimir) Putin ausreichend Geld, um an die eigene Straflosigkeit zu glauben", betonte der Präsident. Auf massive russische Angriffe müsse es eine massive Reaktion geben. "Nur so wird der Terror gestoppt", unterstrich der Staatschef.

Kiew wieder im Visier der russischen Kriegsmaschinerie

In der Nacht attackierte Russland die Ukraine nach einigen Tagen Pause auch wieder mit einer großen Zahl von Kampfdrohnen. Für die Hauptstadt Kiew wurde am Donnerstagabend der erste Luftalarm nach vier Tagen Ruhe ausgelöst. Die ukrainische Luftwaffe berichtete auf ihrem Telegram-Kanal von Gruppen feindlicher Kampfdrohnen über fast allen Gebieten in der Mitte, im Norden und im Osten des Landes.

"Achtung! Stadt Kiew! Bleiben Sie in Schutzräumen. Feindliche Kampfdrohne im Anflug von Norden", wurden die Bürger der Metropole gewarnt. In einem Stadtteil dicht am Zentrum fielen nach Angaben von Bürgermeister Vitali Klitschko Teile einer Drohne nieder, ohne einen Brand zu verursachen oder Menschen zu verletzen.

Neben Kiew auch Städte im Westen Angriffen ausgesetzt

Explosionen wurden aus Sumy, Charkiw und aus Wynnyzja im Westen gemeldet. Vier Menschen seien in der Region Charkiw verletzt worden, schrieb der Militärgouverneur der Region, Oleh Synjehubow, auf Telegram. In der Stadt Charkiw traf eine Drohne nach Angaben des Bürgermeisters Ihor Terechow ein Wohnhaus. Genaue Angaben zu weiteren Schäden gab es zunächst nicht.

Neben den Drohnen setzte die russische Armee den Armeeangaben zufolge auch lenkbare Gleitbomben ein, die von Flugzeugen abgeworfen werden. Russland hat die Angriffe mit Kampfdrohnen iranischer Bauart in den vergangenen Wochen verstärkt und manchmal mehr als 100 Fluggeräte in einer Nacht eingesetzt. Umgekehrt schoss Russland nach Moskauer Militärangaben über den Grenzgebieten Belgorod und Rostow zahlreiche ukrainische Drohnen ab.

Lage für Pkrowsk dramatisch

An der Front in der Ostukraine verschlechtert sich die Lage der ukrainischen Verteidiger indes weiter. Russische Streitkräfte sind nach Angaben eines prominenten Militärbloggers bis auf 1,5 Kilometer an die strategisch wichtige Stadt Pokrowsk im Osten der Ukraine vorgerückt. Mitglieder russischer Sabotage- und Aufklärungsgruppen befänden sich sogar bereits in der Stadt, schrieb der in der Ukraine geborene pro-russische Blogger Juri Podoljaka am Freitag. Die Angaben ließen sich unabhängig zunächst nicht überprüfen. Das ukrainische Militär erklärte jüngst, russische Truppen hätten mehrere ukrainische Stellungen in der Nähe der Stadt zerstört oder eingenommen. Weitere Zivilisten, die bisher dort ausgeharrt hatten, wurden Pokrowsk in Sicherheit gebracht.

Pokrowsk bildet einen Verkehrsknotenpunkt und ist für das ukrainische Militär ein wichtiges Logistikzentrum. Der Fall der Stadt, in der vor dem Krieg 60.000 Menschen lebten, wäre für Kiew einer der schwersten Rückschläge auf dem Schlachtfeld seit Monaten. Den russischen Truppen würde die Einnahme ermöglichen, die ukrainischen Versorgungslinien entlang der östlichen Front erheblich zu unterbrechen und ihre Offensive weiter voranzutreiben. In russischen Medien wird Pokrowsk oft als "Tor nach Donezk" bezeichnet.

Einkesselung bei Kurachowe droht

Nach Angaben ukrainischer Militärbeobachter droht zudem einer ungenannten Zahl von Soldaten die Einkesselung südlich von Kurachowe im Gebiet Donezk. Sie hatten dort lange Stellungen auf beiden Seiten des Flusses Suchi Jaly gehalten, doch schneidet das Vorrücken der Russen in den Ort Uspeniwka ihren Abzugsweg ab. "Es ist schwer zu verstehen, welchen Sinn es hat, den 'Sack von Uspeniwka' zu halten, wenn der Feind weiterhin schrittweise Kurachowe einnimmt", hieß es auf dem Militärblog "DeepState".

Der Generalstab äußerte sich nicht detailliert zur Lage an diesem Frontabschnitt, sondern berichtete nur von heftigem Kämpfen um Kurachowe.

Selenskyj in Fast-Frontstadt Saporischschja

Zwei Tage nach einem russischen Raketenangriff mit elf Toten reiste der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in die ebenfalls immer stärker vom Krieg betroffene Großstadt Saporischschja. Er besuchte die beschädigte Klinik, in der am Dienstag eine Rakete eingeschlagen war, und gedachte der Opfer. Ebenso besichtigte er eine neu gebaute unterirdische Schule für 1.000 Kinder.

"Es gibt viel zu tun in Saporischschja: die Sicherheitslage, der Schutz des Himmels", sagte Selenskyj in einer Videobotschaft. In der Stadt im Süden, die vor dem russischen Angriffskrieg 700.000 Einwohner hatte, beriet der Präsident mit dem Militär über die Lage an der näher rückenden Front. Sollten ukrainische Truppen die letzten Städte im östlichen Gebiet Donezk räumen müssen, sind es bis Saporischschja am Dnipro nur 130 Kilometer offenes Steppenland.

Jermak: Ukraine zu schwach für Verhandlungen mit Moskau

Zur laufenden internationalen Diskussion über Auswege aus dem Krieg sagte der ukrainische Präsidialamtschef Andrij Jermak, das Land sei derzeit nicht stark genug für Verhandlungen mit Moskau. "Heute sind wir noch nicht so weit. Uns fehlen Waffen, uns fehlt ein Status", sagte er im ukrainischen TV. "Wir sprechen über eine Einladung in die NATO und klare Garantien, die sicherstellen würden, dass (Kreml-Chef Wladimir) Putin nicht in zwei oder drei Jahren zurückkehrt."

In Berlin sagten die Außenminister mehrerer europäischer Länder der Ukraine standhafte Unterstützung und den Einsatz für tragfähige Sicherheitsgarantien zu, falls es nach der Amtsübernahme von Donald Trump als US-Präsident im Jänner zu Verhandlungen über einen Waffenstillstand kommen sollte. Unklar ist, wie die Garantien aussehen könnten. Pläne für eine europäische Friedenstruppe sind derzeit nicht konkret. In Warschau berieten am Mittwoch der polnische Ministerpräsident Donald Tusk und Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron über die Lage. Macron urgierte einen Schulterschluss mit den USA.

Die scheidende US-Regierung unter Präsident Joe Biden stellt der Ukraine weitere Waffen zur Verfügung, um die Abwehr des russischen Angriffskriegs zu unterstützen. Das Hilfspaket hat einen Umfang von 500 Millionen US-Dollar (rund 477 Millionen Euro), wie das US-Außenministerium mitteilte. Es umfasst unter anderem Systeme zur Drohnenabwehr, Munition für das Raketenwerfersystem vom Typ Himars sowie gepanzerte Fahrzeuge. Erst vor wenigen Tagen hatte die US-Regierung ein Paket im Umfang von rund 988 Millionen US-Dollar (rund 935 Millionen Euro) bekanntgegeben.

Unter dem Demokraten Biden sind die USA der größte Waffenlieferant und politisch wichtigste Unterstützer der Ukraine. Doch am 20. Jänner steht der Machtwechsel in Washington an - und der Kurs in Bezug auf die Ukraine dürfte sich unter Trump deutlich ändern. In Kiew besteht die Sorge, dass der Republikaner die US-Militärhilfe drastisch zurückfahren könnte. Daher hat sich die Biden-Regierung zum Ziel gesetzt, alle bereits vom Kongress genehmigten Mittel in den verbleibenden Wochen schnell und effektiv zu nutzen.

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