Streit um letzte Details: Tritt Feuerpause in Gaza tatsächlich am Sonntag in Kraft?
JERUSALEM/GAZA. Israels Regierung verschob die Abstimmung über das Abkommen: In der Koalition gibt es Unstimmigkeiten, insbesondere über die Freilassung palästinensischer Häftlinge.
Um 11 Uhr Ortszeit hätte Israels Regierung am Donnerstag zusammenkommen sollen, um über das Abkommen mit der radikal-islamischen Palästinenserorganisation Hamas über einen Waffenstillstand im Gazastreifen und die Freilassung eines Teils der von der Hamas entführten Geiseln abzustimmen.
Daraus wurde nichts – obwohl die Vermittlerstaaten USA und Katar tags zuvor offiziell verkündet hatten, dass eine Einigung erzielt worden sei. Israels Premierminister Benjamin Netanjahu verschob die Regierungssitzung auf unbestimmte Zeit – mit der Begründung, die Hamas habe einen Rückzieher gemacht und wolle "in letzter Minute Zugeständnisse erpressen". Die Hamas widersprach dieser Darstellung umgehend.
Im Detail soll es Unstimmigkeiten geben, wer auf der Liste der freizulassenden palästinensischen Häftlinge stehen soll. Das berichtet der britische Sender BBC.
Israels Premier Netanjahu stößt mit dem Abkommen zudem auf innenpolitischen Widerstand. Die Partei "Religiöser Zionismus" soll wegen des Abkommens einen Austritt aus Netanjahus Regierungskoalition erwogen haben, wie israelische Medien berichteten. Auch das soll ein Grund für die Verschiebung der Sitzung gewesen sein. Insbesondere die Freilassung palästinensischer Häftlinge wird in Teilen der israelischen Gesellschaft kritisch gesehen.
Laut der israelischen Nachrichtenseite Ynet wurde am Donnerstag in Katar erneut über "technische Details" verhandelt, wie die genaue Zusammensetzung der Liste von palästinensischen Häftlingen aussieht, die aus israelischen Gefängnissen freikommen sollen.
Offen bleibt, ob der Zeitplan hält und der Waffenstillstand – wie geplant – am Sonntag um 12.15 Uhr in Kraft treten kann.
Ungeachtet des Abkommens über einen Waffenstillstand setzte Israels Armee am Donnerstag ihre Angriffe im Gazastreifen fort. Allein seit Mittwochabend seien im Gazastreifen mehr als 70 Palästinenser durch israelische Angriffe getötet und 200 weitere verletzt worden, teilte der von der Hamas kontrollierte Zivilschutz mit.
Seit Beginn des Konflikts, der durch den Terrorangriff der Hamas auf Israel mit mehr als 1000 Toten am 7. Oktober 2023 ausgelöst worden war, sind im Gazastreifen nach palästinensischen Angaben mehr als 46.000 Menschen getötet worden.
Die israelischen Angriffe dürften zudem 60 Prozent der Gebäude zerstört oder beschädigt haben. Das geht aus Satelliten-Radarmessungen der US-Wissenschafter Jamon Van Den Hoek und Corey Scher der EU-Weltraumagentur Copernicus hervor (siehe Grafik). Noch höher (nämlich mit 69 Prozent) schätzt das UN-Satellitenprogramm UNOSAT das Ausmaß der Zerstörungen ein.
Auch Österreicher soll freikommen
Auch der österreichisch-israelische Doppelstaatsbürger Tal Shoham befindet sich auf der Liste der ersten 33 Geiseln, die von der Hamas freigelassen werden sollen. Shoham (39) war am 7. Oktober 2023 beim Terrorangriff der Hamas auf Israel aus dem Kibbutz Be’eri gemeinsam mit mehreren Familienmitgliedern verschleppt worden. Seine Ehefrau und die beiden kleinen Kinder – sie sind deutsche Staatsbürger – sowie weitere Verwandte kamen bereits am 25. November 2023 im Zuge eines Austausches frei. Bei anderen Familienmitgliedern, die verschleppt wurden, wurde deren Tod bestätigt. Das Schicksal Tal Shohams ist dagegen bis heute unklar.
Für seine Angehörigen ist jeder Tag Ungewissheit „eine Qual“. Im Juli des Vorjahres war Shohams Schwägerin Shaked Haran zu Gast bei den OÖN.
Das Interview mit ihr zum Nachlesen: "Jeder Tag ist ein Qual" (OÖN plus)