Gefährliche "Wunderwaffe"? Aufregung um Carbon-Schützer im Ski-Weltcup
WENGEN. Im Vorjahr schrieben die Lauberhornrennen in Wengen aus ernsten Gründen internationale Schlagzeilen, die keiner wollte.
Schwere Verletzungen von Aleksander Aamodt Kilde, Alexis Pinturault und Marco Kohler schockten die Ski-Welt. Ein Jahr später sind die Stürze und Verletzungen weiter Teil der Szenerie. Unklar ist, welche Rolle die ominösen Carbon-Schienbeinschützer haben, die von zahlreichen Fahrern verwendet werden. ÖSV-Trainer Marko Pfeifer ruft nach einem Verbot.
Die Carbon-Stutzen, -Socken oder -Einlagen sind ein erlaubtes Hilfsmittel, das in der Vergangenheit vor allem von Athleten nach Verletzungen verwendet wurde. Es steht im Verdacht, dass diese bestimmte Komponente schneller macht, jedoch auch das Risiko von folgenschweren Stürzen erhöht. Weltcup-Dominator Marco Odermatt und Cyprien Sarrazin verwenden die Einlagen - und das in extremer Ausführung, wenn man den Berichten Glauben schenkt. Sarrazin verletzte sich vor dem Jahreswechsel in Bormio bei einem brutalen Abflug. Es ist ungewiss, ob und wann der Franzose in den Skisport zurückkehren kann. Ob die Carbon-Schützer seinen Sturz verstärkt haben, ist ebenfalls unklar.
"Jenseits von Gut und Böse"
Vereinfacht gesagt umschließen die Carbon-Schützer den Unterschenkel mehr oder weniger und erhöhen die Hebelwirkung. "Die sind wie Socken aus festem Material, die auch die geringste Bewegung des Fußes im Skischuh verhindern", hatte FIS-Renndirektor Hannes Trinkl Anfang des Jahres den Oberösterreichischen Nachrichten gesagt. Topläufer könnten damit zwar "unglaubliche Linien fahren, aber mit so einem Set-up bewegt man sich in Wirklichkeit jenseits von Gut und Böse".
"Diese Carbon-Einlagen, das verschärft die Situation natürlich auch noch massiv", sagte ÖSV-Männer-Cheftrainer Pfeifer, ein klarer Gegner des Tools, das er als eine Art Prothesen beschrieb. "Es umschlingt den ganzen Unterschenkel bis zu den Knien, hat natürlich eine extreme Hebelwirkung", erklärte der Kärntner, der speziell mit Blick auf den Nachwuchsbereich eine Reglementierung fordert. "Ich glaube, dass die zu aggressiven Abstimmungen solche massiven Verletzungen und die Vielzahl der Stürze schon forcieren", betonte er. Die FIS sei in der Bringschuld, weil die einzelnen Nationalverbände immer im Interesse ihrer Athleten vorgehen würden. "Deswegen glaube ich, kann da nur die FIS ein Machtwort sprechen."
ÖSV-Asse bei Risiko-Frage gespalten
Im Lager der österreichischen Läufer sind die Meinungen geteilt, verwendet werden die Carbon-Teile nur in Einzelfällen. "Es haben alle im Sommer probiert. Ich weiß es nicht, ob es der eine oder andere ab und zu verwendet, aber es sind die meisten ohne diese Carbon-Einlagen unterwegs", gab Pfeifer Auskunft. Otmar Striedinger meinte: "Ich weiß nicht, ob es jetzt gefährlich ist. Ich finde, wenn es eine gleichmäßige Piste ist, ist es nicht unbedingt gefährlicher, als wenn man ohne fährt."
Den Zug der Läufer, alles auszureizen, ist für Vincent Kriechmayr logisch. "Ich glaube, dass es in jedem Sport, wo es ums Material geht, so ist. Jeder möchte gewinnen, jeder möchte das Maximum rausholen", sagte der Oberösterreicher. "Das ist das Letzte, was wir wollen, dass die Abfahrt ein Kindergeburtstag wird." Er selber verwende die Einlagen nicht, obwohl sie bei gewissen Bedingungen schneller machen würden.
"Vor allem wenn die Piste ein bisschen weicher ist, fährt man aufgrund der Aggressivität einen kürzeren Schwung", betonte er. Allerdings: "Bei gewissen Verhältnissen muss man schon aufpassen. Da ist klar, dass es zu Verschneidern kommen kann." Verbieten würde Kriechmayr die Carbon-Schützer nicht. "Es gibt viele Athleten mit Schienbeinverletzungen oder mit beleidigten Füßen. Andere sagen, sie können ohne die nicht mehr fahren", berichtete er.
Material fährt "mit dir ein anderes Programm"
Der nach mehreren Knieoperationen bediente Daniel Hemetsberger verwendet die Einlagen nach Tests im Sommer ebenfalls nicht. "Wenn eine unerwartete Situation kommt mit einem Schlag oder einer Kompression, wo du dann eigentlich nicht mehr Herr der Lage bist, sondern schauen musst, dass du heil herauskommst, verschärft das Zeug das halt, weil es mehr Angriffsfläche bietet und steifer wird", erklärte der 33-Jährige. "Es ist so, dass es deine Kraft besser auf den Schuh überträgt. Mir kommt sogar vor, dass es geschmeidiger geht, weil sich der Skischuh leichter drücken lässt. Aber bei unerwarteten Situationen fährt das Zeug mit dir ein anderes Programm."
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Und die medizinischen Abteilungen der Skiverbände hat dazu nichts zu sagen?
Es ist für die Nachwuchsförderung sicherlich sehr förderlich wenn die Erziehungsberechtigten sehen, dass es bei immer mehr Skirennen schwerste Verletzungen gibt. Als Erziehungsberechtigter würde ich meinen Kindern dringend vom Skirennsport abraten.
Öffentlich werden ja nur die Verletzungen bei Weltcuprennen. Was ist mit den Skisportlern die sich bei niederrangigen Skirennen bereits schwer verletzen und deshalb das Skifahren aufgeben müssen? Wie hoch ist diese Zahl?
Man möge nur so weiter tun wie jetzt, dann wird sich das Problem von selber lösen weil immer mehr verantwortungsbewusste Erziehungsberechtigte ihrenKindern vom Skirennsport abraten werden.