"Sepp, bleib in Linz!": Meinhard Lukas' Laudatio auf Sepp Hochreiter im Wortlaut
Sepp Hochreiter wurde bei der Digitalos-Preisverleihung von JKU-Rektor Meinhard Lukas in einer feinsinnigen und humorvollen Laudatio geehrt – Die Laudatio im Wortlaut.
Liebe Freunde des Digitalos,
wollte man eine Schlagzeile für den Werdegang unseres digitalen Pioniers formulieren, sie könnte nur lauten: „Eine Zeitung hat sein Leben verändert!“ Daran vielleicht anknüpfende Hoffnungen, es könnte sich um die Oberösterreichischen Nachrichten handeln, muss ich leider enttäuschen. Es war eine kleine Regionalzeitung.
Der digitale Pionier wächst in einer beschaulichen Gegend gemeinsam mit 2 Geschwistern auf. Die kleine Volksschule ist eher ein Störfaktor. Sie hält ihn vom Spielen mit den Freunden ab. Fußball und Schifahren stehen hoch im Kurs. Im Freundeskreis hat er einen großen Einfluss. Daran hat sich übrigens bis heute nichts geändert. Der Besuch eines Gymnasiums ist weder für ihn noch seine Familie ein Thema. Er soll als Erstgeborener den Betrieb der Eltern übernehmen. Bei der Wahl der Mittelschule hat man – wenn überhaupt – Berufe wie Bankkaufmann vor Augen.
Und dann sieht der 13jährige plötzlich in der häuslichen Zeitung einen Zweispalter über Schach samt Notationen. Dieses strategische Brettspiel zieht ihn in den Bann. Es schärft seine Sinne und lehrt ihm logisches Denken. Als er erstmals den Onkel besiegt, vertieft er sich weiter, studiert Spielzüge und deren Logik, schreibt sich in einen Schachclub ein. Dort trifft er auf einige Gymnasiasten, die ähnlich neugierig sind wie er. Sie motivieren ihn zum Besuch von Bibliotheken, um Fragen der Physik oder der Mathematik zu ergründen, Aufgaben die sich in seiner Schule gar nicht stellen. Bald fühlt er sich schulisch unterfordert, eignet sich im Selbststudium das Mathematikwissen der ersten Semester eines Universitätsstudiums an.
Jetzt will er es wissen. Das ersehnte Mathematikstudium ist ihm ohne Matura zwar verwehrt. Sein Schulabschluss ermöglicht ihm aber zumindest eine spezifische Studienberechtigung für ein Informatikstudium an der FH München, ein dortiger Zwischenabschluss wiederum den Zugang zu einem Informatikstudium an der TU München. Alles ist genau durchdacht.
Allein schon seine Diplomarbeit aus 1991 würde den Preis des digitalen Pioniers rechtfertigen. Um ihre visionäre Kraft zu begreifen, muss man sich in diese Zeit zurückversetzen. 1991 stellt Tim Berners Lee, der als Erfinder des Internets gilt, die weltweit erste Website online. Und erst 16 Jahre später präsentiert Steve Jobs das erste iPhone.
Umso bemerkenswerter ist allein schon der Titel der Diplomarbeit: „Untersuchungen zu dynamischen neuronalen Netzen“. Noch eindrucksvoller sind die möglichen Anwendungsfälle, die der digitale Pionier hier – ich betone nochmals: 1991! – skizziert: etwa Computer, die komponieren lernen, oder die Steuerung von Fahrzeugen oder Robotern durch neuronale Netze.
Bereits in dieser Arbeit legt er die Basis für ein langes Kurzzeitgedächtnis in Computersystemen. Das ist nichts anderes als das heute milliardenfach eingesetzte LSTM – Long Short Term Memory. Betreut wird die Arbeit von dem etwas älteren Jürgen Schmidhuber, heute einer der meistzitierten Computerwissenschaftler weltweit. Spätestens jetzt sollte die versammelte digitale Community wissen, von wem ich spreche.
Nach dem Diplom verdient er sein erstes Geld bei einer Versicherung. Das Geld ist – so sagt er – leicht verdient, weil er dank seiner Informatikkompetenz die Arbeit mehrerer Tage auf einen konzentriert. Zurück an der TU München auf einem 1000 D-Mark Job trifft er wieder auf Jürgen Schmidhuber und publiziert mit ihm gemeinsam eine bahnbrechende Arbeit zu LSTM. Diese Technologie ist Jahre später das Fundament von Spracherkennungssystemen wie Alexa von Amazon oder jenes von Google.
Unser Pionier verlässt mit dem Doktorrat München, um eine - schlecht bezahlte – Stelle an der University of Colorado bei Michael Mozer anzunehmen. Er muss sich verschulden, um den Aufenthalt zu finanzieren. In dieser heiklen Situation wird sein erstes Kind geboren. Sein unerschütterlicher Optimus und vor allem seine Frau, eine Musikwissenschaftlerin, geben ihm auch in dieser Phase Halt.
Eine weitere Station ist die TU Berlin. Hier trifft er auf den Physiker Prof. Klaus Obermeier, der sowohl an menschlichen als auch künstlichen neuronalen Netzen forscht. Die Analyse der natürlichen Grundlagen schärft den Blick für originelle neue technische Lösungen. Mit all dieser Erfahrung bewirbt sich der digitale Pionier an der JKU und erhält hier 2006 den Lehrstuhl für Bioinformatik. Künstliche Intelligenz war damals noch nicht en vogue. Es ist vielmehr das Jahrzehnt der Life Sciences. Wenn schon Informatik, dann also wenigstens Bioinformatik.
Der weitere Lebenslauf ist vielfach erzählt. Im vergangenen Jahrzehnt erfährt Artificial Intelligence einen Boom, den die Pioniere der 1990er-Jahre nicht ansatzweise vorausgesehen haben. Aus dem JKU Institut für Bioinformatik wird folgerichtig das Institut für Machine Learning. Das LIT AI Lab wird gegründet.
Konzerne aus der ganzen Welt klopfen hier an, um das Wissen unseres Pioniers anzuzapfen. Zugleich hebt er mit seinem fantastischen Team ein einzigartiges Bachelor- und Masterstudium Artificial Intelligence aus der Taufe – mit einem unvergleichlichen Zulauf. Dem nicht genug, ist er Mitbegründer eines europäischen Netzwerks namens ELLIS, in dem sich die besten KI-Forscherinnen und -forscher verbinden. Es ist ihm auch gelungen, eine Ellis Unit an die JKU zu bringen. Und natürlich ist er als Referent auf den einflussreichsten Konferenzen weltweit gefragt.
Die enorme Reputation bekomme ich regelmäßig zu spüren. Während ihn Universitäten aus nah und fern abwerben wollen, erhalten seine Schüler hochattraktive Angebote der bekannten IT-Riesen. Nur mit Unterstützung des Landes OÖ ist es gelungen, ihn an der JKU zu halten. Und wir bemühen uns nach Kräften, seine großartige Arbeit zu unterstützen. Dazu gehört auch, sich seiner wertvollen, zugleich aber schneidenden und zum Teil unerbittlichen Kritik zu stellen. Er will nicht missverstanden werden. Eine Gefahr, die ich übrigens für durchaus gering halte. Eine Reihe von Persönlichkeiten hier im Saal wissen, wovon ich spreche.
Der digitale Pionier ist in seiner Forschung im höchsten Maß originell und er ist natürlich ein echter Bayer. An der JKU ist er ganz einfach der Sepp und in seinem Geburtsort Polling im bayerischen Landkreis Mühldorf am Inn der „Emmer Sepp“, abgeleitet vom Hausnamen des elterlichen Bauernhofs. Aber im Taufschein steht natürlich Josef Hochreiter.
Sehr geehrter Herr Prof. Hochreiter, lieber Sepp, ich gratuliere Dir namens der JKU und natürlich auch ganz persönlich zur hochverdienten Auszeichnung „Digitaler Pionier“. Vielen Dank für Deinen unermüdlichen Einsatz für den Standort und ganz besonders für unsere JKU. Und vielen Dank Deiner Frau und Deinen drei Kindern für den großen Rückhalt. Nicht zu vergessen auch der Dank an den Mühldorfer Anzeiger mit seinen Schachnotationen. Und eines noch: Sepp bleib in Linz! Uns fällt noch viel ein.