Wenn Gott einen Therapeuten braucht
"Oh Gott!" nennt die israelische Autorin Anat Gov (1953-2012) ihre Komödie, in der selbiger verzweifelt eine Psychotherapeutin aufsucht. Guy Ben-Aharon hat sich das Stück für seine erste Inszenierung am Linzer Landestheater gewünscht, Premiere ist morgen in den Kammerspielen. "Was bedeutet Gott für uns in einer modernen Welt? Welche Hoffnung gibt es? Das Stück stellt uns Fragen über uns selbst. Ich glaube, es ist Zeit, die Menschen dazu einzuladen", sagt der 1990 in Tel Aviv geborene Regisseur, der abwechselnd in seiner Heimatstadt und in Boston lebt, wo er die Theatergruppe "The Jar" gegründet hat.
Ein Land leidet an "Staatskrebs"
"Ich glaube, die Menschen brauchen Hoffnung, Vertrauen und einander. Von all dem handelt diese Komödie", was sich auch in den warmen Farbtönen im Bühnenbild von Cristina Todesco spiegelt.
Es ist still in den leeren Kammerspielen, wo sich Guy Ben-Aharon in einer Probenpause Zeit für ein Gespräch nimmt: "Manchmal komme ich hierher und setze mich auf die Bühne. Sie ist wie meine Synagoge. Ein Ort, wo ich zu Gott oder zu mir selbst sprechen kann. Hier habe ich die Stille und den Raum für die großen Fragen in meinem Leben." Welche er Gott stellen würde? "Ich bin ein israelischer Künstler und Jude. Damit kämpfe ich im Moment. Und mit den Grausamkeiten, die von den Leuten begangen werden, die mich in der Regierung vertreten sollen, aber auch von meinen Landsleuten. Fragen, die sich auch die Deutschen und Österreicher schon gestellt haben."
Seit dem 1. September ist er für die Proben wieder in Linz. "Noch Zwei Tage davor war ich mit meiner Mutter und mit Freunden bei der Demonstration gegen den Krieg, für die Befreiung der Geiseln und für einen Waffenstillstand." Eine Art "Chemotherapie" für seine Heimat, die an "Staatskrebs" leide. "Mitten auf der Demo haben wir die Nachricht erhalten, dass fünf oder sechs weitere Geiseln getötet worden sind. Jemand vom Geheimdienst neben mir kannte ihre Namen. Alle sind in Tränen ausgebrochen, weil auch wir die Namen kannten. Ich habe mir gedacht: Ist es nicht furchtbar, dass ich die Namen von 41.000 getöteten Palästinensern nicht kenne? Jedes Leben ist heilig."
Immer wieder würde er gefragt, wie er noch in Israel leben könne. "Dann antworte ich: ‚Du bist in Amerika geblieben, als sie 800.000 Iraker ermordet haben.‘ Ich komme aus einem Land, das immer im Mittelpunkt der Medien steht. Niemand spricht über den Völkermord an den Rohingyas (eine muslimische Minderheit, Anm.) in China. Das Scheinwerferlicht soll weiter auf Gaza leuchten, aber wir sollten es auch auf diese Tragödien leuchten lassen." Ob er eine Lösung sehen kann? "Eine ganz einfache: Stoppt den Waffenverkauf. Männer in Anzügen reden über Frieden, aber sie verkaufen weiter Waffen." Auch an die Zweistaatenlösung glaubt er. "Wer hätte im September 1945 wirklich gedacht, dass Österreich wieder ein eigenständiges Land sein würde, dass es zwischen Deutschland und Frankreich lange Frieden gebe, eine gemeinsame Währung, eine offene Grenze? Dieser Akt, Macht loszulassen, ist das Schwerste, das wir Menschen lernen müssen." Wie Gott im Stück, seine erste Arbeit auf Deutsch. "Die Sprachmelodie ist dem Jiddischen nahe. Ich kann mit der Musikalität spielen, und auch die Darsteller", Angela Waidmann und Christian Taubenheim: "Gott ist in diesem Haus". Er lacht.
Info: Premiere ist morgen in den Kammerspielen, 19.30 Uhr, Termine bis 31.1., landestheater-linz.at