Demenz: "Es wäre so wichtig, offen darüber zu reden"
INNVIERTEL. Ingrid Bohusch aus Ranshofen bietet mobile Betreuung, speziell für an Demenz erkrankte Menschen, an Sie bedauert, dass das Thema tabuisiert wird, ein offenes Gespräch über die Krankheit könnte manches erleichtern.
Das große Vergessen, Alzheimer, Demenz – davor hat jeder Angst. Die Krankheit betrifft immer mehr Menschen, die Betreuung der dementen Angehörigen wird innerhalb vieler Familien zur großen Belastung. Ingrid Bohusch aus Ranshofen hat als eine der ersten Absolventen den Lehrgang zur Ausbildung als mobile Betreuerin und Pflegerin zu Hause in Graz absolviert – ihr Schwerpunkt liegt auch in der Betreuung dementer Menschen.
Seit 12 Jahren arbeitet sie selbstständig in der mobilen Hauskrankenpflege, seit Februar als ausgebildete Betreuerin demenzkranker Menschen. "Die Zahl der Erkrankten steigt, weil die Leute älter werden", sagt Ingrid Bohusch. Ihre Betreuung sei immer mit den betreuenden Medizinern abgesprochen, betont die Braunauerin, die ihre Dienste in den Bezirken Braunau und im angrenzenden Ried sowie im Flachgau anbietet.
Sie legt großen Wert auf die Zusammenarbeit mit der ganzen Familie der Erkrankten: "Mir ist die Entlastung der pflegenden Angehörigen ganz, ganz wichtig", sagt sie. Durch unterstützende Betreuung könnten die Angehörigen ein wenig abschalten. Die Belastung durch die Krankheit sei sehr groß, und die Herausforderung sei es, sowohl den eigenen Ansprüchen als Betreuerin als auch jenen der Betroffenen und Angehörigen gerecht zu werden. "Auch demenzkranke Menschen sind selbstbestimmt und verlangen einen wertschätzenden Umgang mit ihnen", sagt Ingrid Bohusch. Allerdings sei es auch notwendig, die Bedürfnisse der Angehörigen zu beachten.
Man schämt sich
Die Erkrankung in der Familie sei aber häufig schambesetzt und werde tabuisiert: "99 Prozent schämen sich darüber zu reden. Dabei wäre es so wichtig, frühzeitig Hilfe in Anspruch zu nehmen, und zwar zu einer Zeit, zu der auch für die Betroffenen die neue Situation noch kalkulierbar ist." Die Krankheit werde auch lange Zeit nicht bemerkt, da bei leichter Demenz von den Erkrankten noch vieles vertuscht werden könne. Sie rät daher allen Betroffenen, schon früh genug etwa mit Gedächtnistraining zu beginnen: "Am besten gleich dann, wenn die Diagnose Demenz gestellt worden ist." Dann könnten zumindest die Aktivitäten des täglichen Lebens unterstützt und geübt werden.
"Ich bin für Rituale und Rhythmen und für gleiche Bezugspersonen im Alltag", sagt Ingrid Bohusch. Dadurch könne den Betroffenen Sicherheit gegeben werden. Ihre Erfahrungen mit demenzkranken Menschen sind vielfältig: "Man darf nicht alles persönlich nehmen, das ist nicht einfach", sagt sie. Die Stimmungsschwankungen dementer Menschen mache die Arbeit nicht einfach. Die Gefühlswelt der Erkrankten müsse in der Betreuung aber genau beobachtet werden. "Ich sage immer, diese Menschen haben Seismographen eingebaut, sie nehmen sehr viel auf Gefühlsebene wahr."
Das Herz wird nicht dement
Der Faktor Zeit erfahre in der Betreuung demenzkranker Menschen eine besondere Bedeutung. Die Ranshofnerin drückt dies so aus: "Demenz ist eine Erkrankung der Entschleunigung in einer hektischen Zeit. Das Gesagte braucht Zeit, bis es bei den Menschen ankommt, verarbeitet wird und dann umgesetzt ist. Das Herz übernimmt dabei das Fühlen und Denken. Das Herz wird nicht dement."
Ihr gehe es darum, in jeder Situation Zufriedenheit vermitteln zu können: "Ich betreue eine Frau, eine Messi, die trotz der für uns nicht verständlichen Situation zu Hause in ihrer Umgebung zufrieden ist. Wenn ich das vermitteln kann, dann bin auch ich zufrieden." Dabei sei in der Betreuung auch Kreativität gefragt: "Manchmal muss man als Betreuer schon viel kreatives Potenzial aufbringen. Ich bin da wie ein Terrier und verbeiße mich, um vernünftige Lösungen zu finden", sagt sie. Aber auch sie scheitere manchmal: "Wenn´s gar nicht passt, dann muss man Konsequenzen ziehen und die Betreuung beenden. Sonst gibt es für alle Beteiligten nichts als Stress", sagt die Demenzbetreuerin.
Was die Pflegerin sonst noch rät
Genug trinken: Genügend Flüssigkeitszufuhr bringt oft wieder Klarheit in den Verwirrungszustand, dieser Umstand werde oftmals zu wenig beachtet.
Für die Begleitung dementer Menschen: Gut beobachten; Umgang und Verhalten anpassen; Unter- und Überforderung vermeiden; Sicherheit und Halt geben und Geborgenheit unterstützen; situationsabhängig kreativ sein, Ruhe bewahren – je mehr emotionale Sicherheit das Umfeld anbietet, umso entspannter ist der/die Erkrankte.
Zum Zeitgefühl: Der Demenzerkrankte lebt im Hier und Jetzt, für ihn sind weder Vergangenheit noch Zukunft wichtig.
Zur Therapie: Wichtig sei die genaue Abwägung von medikamentöser und nichtmedikamentöser Therapie, vor allem bei aggressivem Verhalten. Auch hier sei gute Beratung gefragt.
„Sehen, was sie noch können“: Ausbildnerin will den Blick lenken
„Es ist so wichtig, dass die Betreuenden und Angehörigen sehen, was die dementen Menschen noch können“, sagt Waltraud Pommer, die Validation unterrichtet. Um einen angepassten Umgang mit den betroffenen Menschen geht es dabei. Was Demente nicht mehr können, stehe zu oft im Vordergrund, will die Mattighofnerin in ihren Seminaren, Kursen und Info-Abenden den Blick der Betreuer umlenken.
Was das Besondere an Validation ist, beschreibt Waltraud Pommer so: „Wie der Demente die Welt erlebt, ist seine Wahrheit. Und die sollen Pflegende so stehen lassen.“ Wenn der Demente eine Pflegeperson Mama nennt, dann tue er das, weil es für ihn gerade wichtig ist, eine vertraute Person in der Nähe zu wissen, erläutert Pommer die Methode, die sie von Vicki De-Klerk-Rubin, der Tochter von Entwicklerin Naomi Feil, gelernt hat und seither weitergibt.
Für Angehörige schmerzhaft
„Ein dementer Mensch bezeichnet einen ja nicht grundlos als Mama“, bleibt sie beim Beispiel. Er versuche, Strategien zu finden, um mit den Defiziten in seiner Welt, in der Orientierungspunkte verloren gehen, zurechtzukommen, erklärt sie. Für Angehörige sei oft schmerzhaft, zu sehen, wie sich der Demente verändert, und schwer zu akzeptieren, dass sich das Leben aller im Umfeld ändert – und zwar für längere Zeit. Aber die Wertschätzung und das Akzeptieren seien so wichtig, betont Pommer. „Gefühle stehen im Vordergrund“, ergänzt sie. Es gehe weniger um das Wissen um den medizinischen Aspekt der Erkrankung, sondern um den Menschen mit seinem Verhalten. Je mehr die Betreuenden darüber Bescheid wissen, desto leichter sei der Umgang mit Dementen.
„Es ist nicht laut, keine Action. Es schaut unspektakulär und leicht aus, wenn man´s kann“, beschreibt Pommer, dass kaum zu sehen ist, was ein Validation-Geschulter macht. „Aber mit jemand anderem würde der Demente vielleicht erst gar nicht zu reden anfangen“, beschreibt sie. Validation nach Naomi Feil, die wertschätzende Kommunikationsmethode mit verwirrten alten Menschen, hilft, deren Verhalten und Bedürfnisse zu verstehen. Sie ermöglicht, in Beziehung zu treten, Vertrauen zu schaffen – was auch den Stress des Personals mindert. Validation verfeinert die Fähigkeit zu beobachten, zuzuhören, zu verstehen.
In der Pflegeausbildung ist die Methode bereits anerkannt. Waltraud Pommer unterrichtet an Fachschulen, hält einjährige Anwenderkurse, die berufsbegleitend angeboten werden, und mehrtägige Basiskurse, an denen meist das gesamte Pflegepersonal eines Altenheims teilnimmt. In Oberösterreich, Salzburg, Kärnten und der Steiermark ist sie lehrend tätig. Und erwähnt Andorf als positives Beispiel, was die Umsetzung betrifft. Mehr Infos: vita-anima.at
Filmdokumentation als Leitfaden für pflegende Familienmitglieder
Altersdemenz wird in unserer Gesellschaft immer präsenter. Der Sozialhilfeverband (SHV) Schärding hat deshalb zu diesem Thema im Bezirksalten- und Pflegeheim Andorf eine Filmdokumentation gedreht. Ziel des Filmprojektes mit dem Titel „Wenn der Verstand geht und die Gefühle bleiben“ war es, den Umgang mit verwirrten, desorientierten alten Menschen zu erleichtern und verständlich zu machen. Dass dies den Produzenten Marcus Josef Weiss und dem Innviertler David Ketter gelungen ist, stellte die Auszeichnung mit dem Preis für Innovation, Qualität und Nachhaltigkeit in der österreichischen Altenpflege „Teleois 2015“ unter Beweis.
Die Dokumentation soll pflegenden Angehörigen eine Hilfestellung im Umgang mit demenzkranken Personen sein. Anhand von Beispielen und Interviews wird im Film auf die Problematik im Zusammenleben mit Dementen eingegangen. Hintergrund der Dreharbeiten war zu zeigen, wie Angehörige auf das Verhalten eines Demenzkranken richtig reagieren können. Denn wenn Betroffene zu Hause gepflegt werden, ist das für die Angehörigen oft eine große Herausforderung. Bei Fortschreiten der Demenz führen die Symptome zu einer wesentlichen Beeinträchtigung des täglichen Lebens.
Was bedeutet...
Demenz: Bei Demenz handelt es sich um eine chronische oder fortschreitende Erkrankung des Gehirns, bei der Gedächtnis, Denken, Orientierung, Auffassung, Rechnen, Lernfähigkeit, Sprache und Urteilsvermögen gestört sind. Die Erkrankung tritt üblicherweise im Alter auf, ist aber keine normale Alterserscheinung. In Österreich sind mehr als 130.000 Menschen an einer Demenz erkrankt. Es gibt verschiedene Formen von Demenz wie z.B. Alzheimer, die Symptome sind ähnlich, die Behandlungsmöglichkeiten variieren jedoch.
Alzheimer: Mit einem Anteil von rund zwei Drittel (etwa 80.000 Betroffene in Österreich) ist die Alzheimer Krankheit die häufigste Form der Demenzerkrankungen. Dabei gehen in bestimmten Bereichen des Gehirns durch Störungen des Gleichgewichts des Botenstoffs Glutamat Nervenzellen zugrunde. Man spricht auch von einer neurodegenerativen Demenz. Bei der Behandlung der Alzheimer-Demenz ist es wichtig, die Störungen im Bereich der Botenstoffe durch Gabe von Antidementiva positiv zu beeinflussen.
Delir: Patienten mit einem akuten Delir zeigen Verwirrtheitszustände, wie sie auch bei dementen Patienten auftreten können. Im Gegensatz zur Demenz ist das Delir jedoch durch einen akuten Beginn sowie einen fluktuierenden Verlauf gekennzeichnet und grundsätzlich reversibel.
130.000 Menschen sind nach aktuellen Schätzungen in Österreich an einer Form der Demenz erkrankt. Die Zahl könnte sich bis zum Jahr 2050 verdoppeln.
Hilfreiche Informationen:
www.demenzstrategie.at
www.bmgf.gv.at
Auf diesen Webseiten gibt es auch Info-Broschüren zum Herunterladen.
vielleicht wird das offene reden über demenz einfach nur vergessen !?
womit man aber schon wieder beim thema wäre, infolgedessen...