Steyrer Bua
Christian Kreil ist der Globetrotter unter den heimatverbundenen Steyrern. Aber egal, wo er sich gerade aufhält, es geht immer „vorwärts“.
Christian Kreil sitzt auf seinem Kamel. Im Passgang reitet er mit ein paar befreundeten Beduinen durch die Steppe von Kordofan im Sudan. Plötzlich tanzt die Silhouette eines Reiters am hitzeflimmernden Horizont. Ein Mann. Er kommt näher. Als er direkt vor Christian Kreil steht, befiehlt der Mann seinem Kamel, zu halten. Er greift in die Tasche seines Mantels.
"Sind Sie Christian Kreil?", fragt er.
"Ja..."
"Das hier ist für Sie!"
Seine Hand gleitet langsam aus der Tasche. Ein Brief.
Endlich, denkt sich Kreil, als er das Adressfeld sieht: Christian Kreil, Kordofan, Sudan. Der Absender ist seine Mutter. Vorsichtig öffnet er das Schreiben. Er holt einen Zeitungsartikel heraus, mustert eine Tabelle und sagt:
"Jawoi!!!"
Sein Fußballverein, der Arbeiterklub Vorwärts Steyr, seine Rot-Weißen, hatte Austria Wien, den Verein von Herbert Prohaska, im Stadion an der Volksstraße mit 2:1 besiegt.
Das hatte er sich ausbedungen, als er für ein Jahr in den Sudan ging, um dort für seine Diplomarbeit in Völkerkunde zum Thema "Frauenbeschneidungen" zu recherchieren: "Meine Mutter musste mir versprechen, mich mit den Ergebnissen der Vorwärts, die gerade in die Bundesliga aufgestiegen war, zu informieren. Telefonisch war das unmöglich, weil ich mit den Beduinen unterwegs war."
Ziemlich genau zehn Jahre vorher ("Es war der 15. August 1978", weiß Kreil aus dem Stand), diesmal Caorle. Es war ein typischer Steyrer Arbeiterurlaub, das halbe Hotel war von Arbeitern der Steyrerwerke belegt. Als die Nachricht kommt, dass "die Vorwärts" als Landesliga-Mannschaft gegen Austria Wien (schon wieder mit Herbert Prohaska) gewonnen hat, wird der Badeort an der Adria rot-weiß.
Wer ein echter Steyrer ist, lebt mit seinem Fußballverein, weiß Höhen mitzufeiern und Tiefen mitzubetrauern. Höhen, wie der Auswärtssieg im UI-Cup bei Eintracht Frankfurt im Jahr 1997 oder die Verpflichtung des russischen Starstürmers Oleg Blochin. Tiefen wie der finanzielle Kollaps.
Dieser war begleitet von undurchsichtigen, zwielichtigen Gestalten, samt Einstellung des Spielbetriebes.
Der 47-jährige Christian Kreil hat alle Phasen durchgemacht. "Die Vorwärts", das sagt der liierte Vater eines 18-jährigen Sohnes freimütig, "ist wie die große Liebe zu einer wunderschönen Frau, die einen aber alle paar Wochen betrügt. Wenn man das einmal verstanden hat, geht man mit dem Betrogenwerden anders um."
"Amadeer"-Verbot
Die rot-weiße Liebesbeziehung begann unauffällig. Der Vater, Arbeiter bei den Steyrer-Werken ("Ganz klassisch"), nimmt den achtjährigen Steyrer-Buam mit ins Stadion. Der sammelt Kastanien, die Aufregung der Leute rund um einen Ball ist ihm rätselhaft. Der Vater stellt trotzdem klar: "Wennst einmal Kicker wirst, dann nur bei der Vorwärts. Bei de Amadeer (Amateure Steyr – Konkurrenzverein) spüst du mir ned!"
Der Sohn bleibt ohnehin Passiv-Konsument der "Rotjacken". Kaum ein Spiel versäumt er, auf der Südtribüne ist er seit Jahren eine Institution, der PR-Berater und Ex-Journalist schreibt auch einen Kommentar für die Vereinszeitung. Er ist auch dabei, als Vorwärts Steyr nach dem Zwangsabstieg wieder ganz unten beginnt. In der zweiten Klasse Ost spielt die Vorwärts nun – Kleinreifling statt Prohaska.
Kreil ist bei diesem Auswärtsspiel dabei und es fühlt sich an, "wie gegen Austria Wien." Mit der Vorwärts geht es rapid aufwärts, 2007 kommen gegen Weißkirchen in der fünfthöchsten Liga 7000 Fans ins Stadion. Heute spielt die Mannschaft in der Regionalliga.
Doch Christian Kreil kennt nicht nur die rot-weiße, sondern auch die große Welt. Er ist so etwas wie der Globetrotter unter den Heimatverbundenen.
Immer wieder zieht es ihn weg, weit, weit weg. Er beginnt sein Völkerkunde-Studium, weil er mehr sehen will als Caorle. Im Himalaya begibt er sich auf die Spuren Heinrich Harrers. "Er hat mich beeindruckt, ich war damals viel zu unkritisch, was seine Person und das Dritte Reich betrifft."
In der Sahara schließt er sich Nomaden an. Er wohnt in einem Kamelhaarzelt, ernährt sich von Hirsebrei, ist fasziniert von der Genügsamkeit: "Die besitzen kein Klumpert – wozu auch."
Im Südbeirut des Jahres 1993 übertreibt es der Steyrer. Er fotografiert einen Hisbollah-Anhänger vor einem riesengroßen Bild Ayatollah Khomeinis. Der Mann, mit einer Kalaschnikow im Anschlag, nimmt Kreil fest. Sieben Stunden lang wird er verhört, wird verdächtigt, ein israelischer Spion zu sein. Schließlich darf er gehen.
Kreil, genannt "Grille" (mit Ausnahme der Frau Mama, die sagt Christian) ist nicht der typische Aussteiger, er weiß , wo er daheim ist: "Ich halte Monate in der Wüste aus, aber ich brauche mein Treff und mein Bier". Die Café-Bar "Treffpunkt" am Ennskai hat unzählige Spielanalysen nach Vorwärts-Partien und 36 Hochwasser überlebt. Das Treff gehört zum "Durchschnittstypen Kreil" (Kreil über Kreil).
Ein echter Steyrer ist stolz auf seine Stadt und Kreil ist echter Steyrer. Denn Steyr sei objektiv gesehen schlicht und einfach schön. Und dann setzt er seine Kappe auf und marschiert los, zeigt seine Stadt. Natürlich, die Südtribüne, dann hinunter zur Schwimmschule, dem ältesten Arbeiter-Freibad Europas, dort wo praktisch jeder Steyrer schwimmen gelernt hat. Der passionierte Kletterer und Paragleiter zeigt, wo seine Kraxlleidenschaft begann. Die so genannte Kugelfang-Mauer, gleich neben der wildromantischen Steyr, haben er und seine Freunde unzählige Male erklommen.
"Downing Street für Arme"
Am Bahnhof der Steyrtalbahn gesteht er Jugendsünden, nicht selten ist er da auf den fahrenden Zug aufgesprungen. In der Werndlgasse, benannt nach dem Steyrer Pionier, ist er daheim. "Die Häuserfronten sind fast ein wenig englisch, das gefällt mir." Augenzwinkernder Zusatz: "Downing Street für Arme..."
Dann schlendert er weiter durch den malerischen Wehrgraben und er will noch was zur Vorwärts und zur Steyrer Volksseele sagen: "Wir waren immer wieder mal ganz unten. Beim Fußball, bei den vielen Überschwemmungen. Wenn in Steyr was schiefgeht, fangen wir halt wieder von vorne an."