Der Arbeiteraufstand auf der Steyrer Ennsleite blutete aus
STEYR. Das Bundesheer pirschte sich in der Deckung der Werkshallen der Steyr-Werke zum Sturm auf die Festung der Arbeiter heran. Dem Schutzbund mangelte es an Munition. Kämpfer auf beiden Seiten starben im Kugelhagel. Um fünf Uhr war der Spuk zu Ende. Die faschistischen Truppen nahmen mit aufgepflanzten Bajonetten Hunderte gefangen.
Kein elektrisches Licht brannte, keine Laternen erhellten die Straßen. Die Nacht in Steyr war stockfinster, ruhig war sie nicht. Nach Mitternacht hörte man Motorenlärm massiver Truppenbewegungen. Das Bundesheer brachte auf dem Tabor, gleich neben der erst in den Zwanzigerjahren erbauten Feuerhalle beim Friedhof, Geschütze in Stellung. Gegen halb drei Uhr früh schlugen die ersten Mörser in den Arbeiterhäusern auf der Ennsleite ein.
Scharfschütze vom Kirchturm
Zur Mittagszeit wurde der Kanonendonner vom Tabor immer heftiger. Der ehemalige KP-Gemeinderat Otto Treml (84), der als Arbeiterbub auf der Ennsleite aufwuchs, hat von ehemaligen Teilnehmern an den Kriegshandlungen erfahren, dass ein Scharfschütze sogar vom Turm der Stadtpfarrkirche über die Enns gefeuert haben soll. Die Helden vom Vortag, die noch einen Sturmangriff des Militärs auf die Ennsleite abwehrten, wurden am zweiten Tag des Aufstandes in Blutlachen liegend mit Leintüchern zugedeckt. Gustav Hilber, der am Vortag noch einen Bundesheertrupp mit seinem Maschinengewehrfeuer vertrieben hatte, wurde bei der Schossergasse tödlich getroffen, der Schutzbündler Rudolf Meierzedt starb an der Märzenkellerstiege.
15 Tote bei den Kämpfen
Auch die Toten des Bundesheeres hatten Namen. Rudolf Hofstätter ist kein Mann, der in die Weltgeschichte einging, bloß in die Heeresstatistik. Oberst Bleyer, der einen Zangenangriff auf die Ennsleite befehligte, meldete für das NÖ. Feldjägerbataillon zu Rad Nr. 3 "Feldjäger Hofstätter Rudolf (Herzschuß)" als einzigen Toten bei der "Säuberungsaktion der Stadt Steyr" an das Heeresministerium. Insgesamt forderten die Kampfhandlungen das Leben von zehn Schutzbündlern, während auf der Seite der Exekutive fünf Todesopfer verzeichnet wurden.
Für die Verteidiger auf der Ennsleite wurde die Lage von Stunde zu Stunde aussichtsloser. Der Historiker Josef Stockinger merkt in seinem Standardwerk "Zeit, die prägt" an, dass die Schutzbündler vor allem am mangelnden Nachschub litten. Die Munition aus den im Erdboden vergrabenen Kisten ging allmählich zur Neige. Auch bei der Verköstigung hatte das Bundesheer alle Vorteile, während es auf der Ennsleite wegen der Schnelligkeit der Ereignisse keine Vorräte gegeben habe.
Am frühen Nachmittag begann sich die Lage zuzuspitzen. In der Deckung der Werkshallen der Steyr-Werke arbeiteten sich Verbände des Alpenjägerregiments Nr. 7 (Hessen) unter dem Kommando von Major Treitinger an die Nordflanke der Ennsleite vor. Unter dem Feuerschutz der Artillerie gelang den Soldaten der Durchbruch durch die Barrikaden, hinter denen sich die Schutzbundkämpfer verschanzt hatten. Der bewaffnete Widerstand gegen den faschistischen Staat in Steyr war gebrochen. "Nach Ende der Kampfhandlungen gegen halb fünf Uhr wurde auf der Ennsleite gefangen genommen, wer den Siegern über den Weg lief", erinnert sich Otto Treml an die Aussagen damals Beteiligter. Bis zu 800 Schutzbündler – nach Stockingers Forschungen waren allerdings nur 180 bewaffnet – wurden mit aufgepflanzten Bajonetten abgeführt und in Notgefängnisse in der Altstadt gepfercht.
Mancher Kämpfer wurde die Staatsmacht jedoch nicht habhaft. Abenteuerlich war die Flucht des Betriebsrates Michael Sieberer, der auf der Ennsleite der Kampfleitung angehörte. Er entkam dem Sperrriegel der Exekutive und fand bei einem Kleinhäusler auf dem Damberg ein Versteck. Dann schlug er sich in die Tschechoslowakei durch und emigrierte nach Bolivien. 1947 kehrte er nach Steyr zurück und wurde in der Stadt Vizebürgermeister.
Die Heimwehr, eigentlicher Gegner des Schutzbundes, bildete bei der Erstürmung der Ennsleite die Nachhut. Die Männer mit den Hahnenfedern durchwühlten bei weiteren Waffendurchsuchungen jedes Haus und fuhren in Triumphzügen auf Lastwägen durch die Stadt. Die Heimwehr rühmte sich angesichts der Kämpfe nicht weniger Heldentaten. Laut "Steyrer Zeitung" und auch einer Heimwehrchronik ("Heimatschutz in Österreich", Wien, 1935) soll der Bundesführer Fürst Starhemberg persönlich die "Aktion zur Aufrollung der Ennsleitenstellung" geleitet haben. Und nur wenige Tage nach der Niederwerfung des Aufstandes klopften Heimwehrler bereits bei der Bezirkshauptmannschaft Steyr um Orden für tapfere Kameraden an, die beim Sturm auf die Ennsleite Kopf und Kragen fürs Vaterland riskiert hätten.
Heimwehr beschoss Bundesheer
Die Berichte des Bundesheeres an das Verteidigungsministerium waren bezüglich der von den Paramilitärs geleisteten Waffenhilfe dagegen – gelinde gesagt – viel weniger euphorisch. Kompaniekommandant Treitinger schreibt in seinem Erstbericht vom 16. Februar noch ganz in frischer Erinnerung des Blutvergießens: "Während des Angriffes kam von Osten her eine Heimwehrkompanie in die Steyrwerke. Diese wurde von mir angewiesen, sich dem Angriff anzuschließen. Sie hat sich jedoch an keiner Kampfhandlung beteiligt." Das hieß aber nicht, dass die Heimwehr nicht von ihren Gewehren Gebrauch machten, schenkt man Treitingers Ergänzung Glauben, die er am 20. Februar 1934 an das Heeresministerium schrieb. "Die Tätigkeit der Heimwehr in meinem Abschnitt ... wird dahin ergänzt, dass es die HW (Heimwehr) unterlassen hat, Verbindung mit der kämpfenden Truppe herzustellen, weshalb es zu gegenseitigen unangenehmen Schießereien kam." Man kann das nur so deuten, dass sich Treitinger über Freundesbeschuss beschwert hat.
An den Arbeiterhäusern haben die Februarkämpfe schwere Schäden hinterlassen, im Staatsgefüge noch schwerere. Auch die regimetreue "Steyrer Zeitung" übte Kritik an der harten Strafexpedition: "Muß denn ausgerechnet die christliche Regierung mit Kanonen gegen die armen Teufel vorgehen und ihnen die letzte Habe zerstören?"
Schwarzer Tag auf der roten Ennsleite
Auf die Ennsleite wurden 95 Artillerieschüsse abgegeben. Mit dem Kanonenfeuer sollten auch die paar Maschinengewehrstellungen ausgeschaltet werden, über die der Schutzbund verfügte. Einer der Republiksverteidiger, der dabei gefallen ist, ist der Arbeiter Gustav Hilber gewesen, der über der Nordstiege zur Ennsleite Stellung bezogen hatte. Auf der Seite des Schutzbundes forderte der Kampftag zehn Todesopfer, die Exekutive gab fünf Gefallene an.
Durch den Kanonenbeschuss wurden die Häuser, in denen die Arbeiterfamilien wohnten, schwer in Mitleidenschaft gezogen. Manche Stiegenaufgänge waren nur noch Ruinen. Nach der Niederschlagung des Aufstandes gegen den Faschismus wurden die Gegner der Diktatur von Bundeskanzler Engelbert Dollfuß rigoros verfolgt. Bereits am 12. Februar wurden Befehle an die Gendarmerieposten gekabelt, alle führenden Köpfe der Sozialdemokraten und des „ehemaligen republikanischen Schutzbundes“ zu verhaften. In den „besetzten Gebieten“ fiel unterdessen die Heimwehr ein. In einer Heimwehrchronik ist obige Fotografie veröffentlicht, wie ein Trupp Heimwehrleute auf der Ladefläche eines Lastwagens durch Steyr fährt. Die Radikalen unter den niedergeworfenen Sozialdemokraten spaltete sich auf: Ein Teil schloss sich den Kommunisten im Untergrund an. Eine andere Gruppe wie Bürgermeister Franz Sichelrader und Landtagsabgeordneter Franz Schrangl traten zu den Nazis über.