Nach Massenprotesten: Serbiens Regierungschef tritt zurück
BELGRAD. Doch die wütenden Demonstranten wollen nicht aufgeben: Sie verlangen, dass auch Präsident Aleksandar Vucic geht.
Seit mehr als drei Monaten protestieren Zehntausende Menschen in Serbien gegen die Regierung. Nun zog Regierungschef Milos Vucevic die Konsequenzen und erklärte seinen Rücktritt.
"Es ist meine unwiderrufliche Entscheidung zurückzutreten", sagte er auf einer Pressekonferenz. Konkret begründete er den Schritt mit einem Schlägerangriff auf Studierende vergangene Nacht. Mit Baseballschlägern ausgerüstete Männer hatten junge Menschen verprügelt, eine Studentin kam mit gebrochenem Kiefer ins Spital. Die Angreifer sollen aus Büroräumen von Vucevics Fortschrittspartei gekommen sein.
Vucevic ist der ranghöchste Politiker, der seit Anfang November sein Amt niedergelegt hat, seit zunehmend gegen die Regierung demonstriert wird. Auslöser der Proteste war der Einsturz eines Daches in einem Bahnhof in der zweitgrößten serbischen Stadt Novi Sad, bei dem 15 Menschen ums Leben kamen. Der Bahnhof war erst kurz davor renoviert worden. Tausende Demonstranten machen Korruption in der Regierung des populistischen Präsidenten Aleksandar Vucic für die Katastrophe verantwortlich.
Dieser ist seit Jahren in Korruptionsaffären und Skandale verwickelt. Das serbische Staatsoberhaupt strebt offiziell eine EU-Mitgliedschaft Serbiens an, empfiehlt sich aber gleichzeitig regelmäßig Russland und China als Geschäftspartner. Ministerpräsident Vucevic galt als Sprachrohr des Präsidenten und seiner nationalkonservativen Fortschrittspartei SNS. Auch nach seinem Rücktritt hielt er dem Präsidenten die Stange und betonte, dass die Proteste "zweifelsohne im Ausland" ausgedacht wurden.
Vorgezogene Neuwahlen?
Ob es mit Vucevics Rücktritt nun zu vorgezogenen Neuwahlen in Serbien kommt, ist vorerst unklar. Von der Opposition wird nämlich zuvor die Bildung einer Übergangsregierung gefordert. Ihrer Vorstellung nach soll so ein schwerer Betrug wie bei der Parlamentswahl im Dezember 2023 verhindert werden. Die Regierungspartei SNS lehnt das allerdings rigoros ab.
Ein Ende der Protestwelle ist zunächst nicht in Sicht. Vielmehr drücken Angehörige von immer mehr Berufsgruppen, darunter Anwälte, Bauern, Universitätsprofessoren und Künstler, ihre Solidarität mit den Demonstranten aus. Beobachter sprechen bereits von der schwersten Regierungskrise, die Serbien seit dem Sturz der Autokratie von Slobodan Milosevic im Jahr 2000 durchläuft.