Slowakischer Innenminister: Attentat auf Fico hatte politisches Motiv
BRATISLAVA. Das Schussattentat auf den slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico hatte nach Einschätzung der Regierung ein "politisches Motiv".
Das sagte Innenminister Matúš Šutaj Eštok am Mittwochabend vor Journalisten in der Klinik in Banská Bystrica, wo Fico operiert wurde. Der Zustand des 59-Jährigen sei weiter lebensbedrohlich. Der Schütze wurde festgenommen. Der Anschlag rief international Entsetzen hervor.
Zustand "außerordentlich ernst"
Verteidigungsminister Robert Kalinak nannte Ficos Zustand "außerordentlich ernst". Bei diesen Worten kämpfte Kalinak, einer von Ficos Stellvertretern in Partei und Regierung, mit den Tränen.
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Nach Informationen des TV-Senders TA3 soll es sich bei dem Täter um Juraj C., einen ehemaligen Mitarbeiter eines privaten Sicherheitsdienstes handeln. Offiziell bestätigt wurde das zunächst nicht. Trotz eines Informationsembargos gelangte der Sender an eine Videoaufnahme aus der Klinik. Darin sagte der benommen wirkende mutmaßliche Attentäter: "Ich stimme der Regierungspolitik nicht zu." Als konkretes Beispiel nannte er mit undeutlicher Stimme die von der Regierung geplante Auflösung des öffentlich-rechtlichen Radios und Fernsehens RTVS, gegen das seit Wochen Tausende Menschen demonstrieren.
Täter war einst selbst Opfer
Laut dem ORF-Fernsehen (ZiB 1) handelt es sich bei dem Mann um einen 71-jährigen Schriftsteller, der 2016 selbst Opfer eines Attentats geworden sei und in Folge die Berechtigung bekommen habe, legal seine Waffe zu besitzen. Der Attentäter soll aus der Stadt Levice stammen, die rund 60 km südlich von der Stadt Handlová liegt, wo der Anschlag geschah. Diese liegt wiederum etwa 130 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Bratislava. Die Angaben wurden zunächst offiziell nicht bestätigt.
Innenminister Šutaj Eštok kündigte verstärkten Polizeischutz für Politiker, aber auch Journalisten an. Zugleich rief er Medien, Politiker aller Lager und die Öffentlichkeit auf, mit der "Hetze gegen politische Gegner in sozialen Medien" aufzuhören. In ähnlichem Sinn hatte sich davor auch schon Präsidentin Zuzana Čaputová geäußert.
Der liberale Oppositionsführer Michal Šimečka sagte am Mittwochabend alle geplanten politischen Aktionen für unbestimmte Zeit ab. Das betreffe auch eine für Mittwochabend geplante Demonstration gegen die Regierung in Bratislava, sagte er vor Journalisten im Parlament. Eine am Mittwoch laufende Parlamentssitzung wurde schon davor für unbestimmte Zeit unterbrochen.
Per Hubschrauber ins Spital gebracht
Fico war am Mittwoch nach einer Regierungssitzung in der Stadt Handlová angeschossen worden. Er wurde mit dem Hubschrauber in das Krankenhaus der 30 km von Handlová entfernten zentralslowakischen Stadt Banská Bystrica geflogen, da "eine dringende Intervention notwendig" geworden sei. Fico soll laut Medienberichten mehrere Verletzungen erlitten haben.
Augenzeugen berichteten dem TV-Nachrichtensender TA3, vor dem Kulturhaus in Handlová seien mindestens vier Schüsse zu hören gewesen, als Fico nach der Kabinettssitzung ins Freie ging, um sich unter die Bevölkerung zu mischen und Hände zu schütteln. Ein Schuss habe ihn in die Brust getroffen. Der Ministerpräsident sei daraufhin zu Boden gestürzt. Ein von mehreren Online-Medien veröffentlichtes Video zeigte, wie Begleiter den Verletzten eilig in ein Auto setzen, um ihn vorläufig in Sicherheit zu bringen. Auf dem Video soll auch die Festnahme des mutmaßlichen Angreifers zu sehen sein.
Beliebt und polarisierend
Fico hatte erst vor wenigen Tagen der liberalen Opposition vorgeworfen, ein "Klima der Feindschaft" gegen die Regierung zu schaffen. Es sei nicht auszuschließen, dass es in einem solchen Klima irgendwann zu einer Gewalttat komme.
Der Gründer und Chef der zuletzt immer nationalistischer gewordenen Linkspartei Smer-SSD ist seit fast 30 Jahren einer der beliebtesten Politiker der Slowakei. Er polarisiert aber zugleich die slowakische Gesellschaft wie kaum ein anderer. Gegner nennen ihn "prorussisch" und werfen ihm vor, die Slowakei auf einen ähnlichen Kurs wie Viktor Orbans Ungarn führen zu wollen.
Als der Linkspopulist im Oktober 2023 erneut Regierungschef wurde, stoppte er die Militärhilfe der Slowakei für Kiew und stellte die Souveränität der Ukraine in Frage. Orbán blockierte innerhalb der EU monatelang entscheidende Hilfe für die Ukraine.
Fico war bereits von 2006 bis 2010 und von 2012 bis 2018 slowakischer Regierungschef. 2018 musste er nach der Ermordung des Journalisten Jan Kuciák und dessen Verlobter zurücktreten. Kuciák hatte zu Verbindungen zwischen der italienischen Mafia und Ficos Regierungspartei Smer recherchiert.