"Die leichte Muse ist das Schwierigste"
Wer am 4. Dezember die Operette "Der Bettelstudent" im Linzer Musiktheater besucht, unterstützt damit das OÖN-Christkindl. Die Regiefäden in Carl Millöckers Werk hat Karl Absenger gezogen. Was die "leichte Muse" so schwer macht und warum die Operette oft belächelt wird, hat der Grazer den OÖNachrichten erzählt.
Verstaubt – dieses Vorurteil haftet der Operette mitunter an. Wie sie zu Unrecht zu ihrem ambivalenten Ruf gekommen ist und was ihn zur Bühne gebracht hat, erzählt Karl Absenger im Gespräch.
"Der Bettelstudent" ist Ihre vierte Inszenierung in Linz. Warum sagen Sie gern "Ja" zu Linz?
Karl Absenger: Ich kenne Hermann Schneider noch von Würzburg. Als ich gelesen habe, dass er hier am Landestheater Intendant geworden ist, habe ich ihm geschrieben: "Gratuliere, Sie werden Österreicher!" Ein halbes Jahr später hat er mich eingeladen. Es ist natürlich eine große Verantwortung, mich nicht zu wiederholen. Das tue ich in dieser Produktion überhaupt nicht. "Der Bettelstudent" hat einen sehr dramatischen Hintergrund: den polnischen Freiheitskampf. Die Leute, die auch heute noch unter einer Fremdherrschaft leiden, sind ja an beiden Händen nicht abzuzählen. In einem Film in der Ouvertüre blickt das Publikum auf den Eisernen Vorhang. Ich wollte marschierende Soldaten in Uniformen aus verschiedenen Jahrhunderten. Auf YouTube habe ich die Parade der 7er-Dragoner in Linz entdeckt. Der ORF hat mir das Material zur Verfügung gestellt. Bevor der Vorhang aufgeht, sieht man 70 Jahre Überfall auf Polen.
Worin liegt für Sie die größte Herausforderung der Operette?
Die leichte Muse ist das Schwierigste überhaupt. Auch für die Darsteller. Für mich ist es wichtig, dass ich Schauspieler auf der Bühne habe, die zufällig singen können und nicht Sänger, die Text sprechen müssen. Wenn das Wort die Kraft verliert, sei es im Glück oder in der Verzweiflung, fangen wir zum Singen an. Das ist die Gnade der Menschen, die Stimme haben, die können sich dann musikalisch ausdrücken. Bei der Operette kriegen sich zwei Menschen am Schluss, in der Oper sterben sie. Das ist der größte Unterschied. Wenn Sie einen Darsteller auf der Bühne sterben lassen, bewundert ihn jeder. Dabei ist es das Leichteste.
Die Operette gilt mitunter als verstaubt. Muss, darf man sie modernisieren?
Die Leute, die das damals geschrieben haben, waren ja keine Vollidioten – im Gegenteil. Es hat sich die Zeit geändert. Wir haben heute eine andere Sicht auf gewisse Dinge. Ich sehe in der Operette sehr viel Ironie, ein bisschen Sarkasmus. Man muss die Geschichte ernst nehmen, aber wie der Weg dorthin geht, muss man aus einer ein bisschen anderen Sichtweise erzählen als vor zwanzig, dreißig Jahren. Die Operette hat ihren schlechten Ruf nach dem Krieg bekommen, als die Leute verständlicherweise nur noch die heile Welt sehen und die schönen Melodien hören wollten. Das ist Futter für die Seele. Ich habe die Möglichkeit, die Menschen drei Stunden lang ihre Sorgen vergessen zu lassen, sie zu verführen. Das gibt ja auch Kraft. Man kann ein Stück überfordern, was ich beim "Bettelstudenten" tue. Aber es muss Unterhaltung bleiben – mit Hintergrund. Ich sage zu meinen Darstellern oft: Wenn hier gelacht wird, macht ja nicht mehr. Wenn man weiß, jetzt kommt die Pointe, setzt man sich gern drauf. Das ist das Schlimmste überhaupt. Es ist eh schon alles drin, was nötig ist.
Die Handlung initiiert ein Gouverneur. Er hat eine Dame "doch nur auf die Schulter geküsst". Woraufhin sie, eine Komtesse, mit dem Fächer zurückschlägt. Ist "MeToo" ein Thema?
Theater ist immer nur die Situation einer zwischenmenschlichen Beziehung: Liebe, Eifersucht – das wird sich nie ändern. Es ist immer dasselbe, nur in einer anderen Interpretation. Es sind unheimlich viele Schichten gesellschaftlicher Probleme im Stück für den, der es sehen will. Ich muss auf jede Frage eines Darstellers eine Antwort wissen: Es ist ein Unterschied, ob jemand etwas macht, weil er es gesagt bekommen hat oder weil er weiß, warum. Die Glaubwürdigkeit ist das Wichtige. Es muss einen Grund haben.
Was war für Sie der Grund, sich der Bühne zu verschreiben?
Ich habe zu meinem sechsten Geburtstag zwei Opernkarten von meinen Eltern geschenkt bekommen. Wir sind in der dritten Reihe gesessen. Ich sehe heute noch, wie der Vorhang aufging und der Geruch der Kulissen, den es heute nicht mehr gibt, über den Orchestergraben kam. Mit dreizehn, vierzehn habe ich als Statist angefangen. Dann kam die Aufnahmeprüfung auf die Schauspielakademie. Ich habe alles, was gut und teuer war, gespielt. Aber es hat mich nicht ausgefüllt. Ich habe gekündigt. Dann kam eines nach dem anderen. Wenn es geht, mache ich ein Schauspiel im Jahr. Es ist ein großer Unterschied, mit Sängern oder Schauspielern zu arbeiten.
Inwiefern?
Sänger haben die Musik als Hilfsmittel, gefühlsmäßig in die nächste Situation zu kommen. Schauspieler stehen nackt da. Ich sehe es als meine Aufgabe, die Darsteller zu tragen. Vertrauen ist für mich das A und O. Manchmal werde ich gefragt: Wo haben Sie gelernt, so mit Darstellern umzugehen? Dann sage ich: Ich tue nur das nicht, was Regisseure mit mir gemacht haben.
Zu den Klassikern zählen „Ach ich hab’ sie ja nur auf die Schulter geküsst!“ und „Ich knüpfte manche zarte Bande“.