Cannabis gegen den großen Schmerz?
Oberösterreichischer Schmerzexperte Martin Pinsger erläutert die Vorteile
Cannabis wird in unserer Gesellschaft in erster Linie mit Drogenmissbrauch in Verbindung gebracht. Dass Cannabis-Medikamente für Menschen mit chronischen Schmerzen jedoch eine echte Erleichterung bringen können, erklärt jetzt Martin Pinsger in seinem Ratgeber-Buch "Dem Schmerz entkommen – So hilft Ihnen die Cannabis-Therapie".
Medizinisches THC
Wer auf Gratis-Joints auf Krankenschein hofft, wird enttäuscht sein. Natürlich handelt es sich bei der vom Schmerzmediziner vorgeschlagenen Therapie um Kapseln oder Tropfen aus der Apotheke, mit denen die sogenannten Cannabinoide genau dosiert werden können. Sie enthalten jedoch wie Joints den Stoff THC (Tetrahydrocannabinol). "Cannabinoide kommen auch im Gehirnstoffwechsel vor. Der Körper bekämpft damit selbst Schmerz", erklärt Pinsger, der aus einer Hellmonsödter Arztfamilie stammt und seine Praxis in Wien hat. Dort behandelt er seit 20 Jahren Patienten mit chronischen Schmerzen mit Cannabis-Medikamenten – oft mit großem Erfolg. "In Österreich sind 1,5 Millionen Menschen von Schmerzen betroffen. Für zehn bis 20 Prozent kommt die Cannabis-Therapie in Frage. 40 Prozent der Menschen sprechen auf das Mittel an", sagt der Arzt. Die Substanz reduziert eigentlich nicht den Schmerz, sondern den Stress, den der Schmerz auslöst. "Dem Schmerz wird dadurch die Macht genommen. Die Mittel wirken nach ein bis drei Stunden. Cannabinoide gehen ins Fettgewebe. Wenn man das Mittel absetzt, ist es – im Gegensatz zu Opioiden oder Psychopharmaka – nach fünf Tagen wieder aus dem Körper draußen", sagt Pinsger.
Zielgerichtete Wirkung
Cannabinoide reagieren zielgerichtet: Je stärker der negative Reiz im Gehirn ist, umso mehr wird er blockiert, so der Arzt in seinem Buch. Die positiven Effekte seien vielfältig. Der Patient fühle sich weniger gestresst, regeneriere schneller, fühle sich vitaler, schlafe besser und werde weniger von Ängsten belastet.
"Bei Menschen, die nicht von chronischen Schmerzen betroffen sind, können hingegen Müdigkeit und zu tiefe Entspannung auftreten", sagt der Mediziner.
Anders als etwa bei Opioiden, die weltweit für zahlreiche Todesfälle verantwortlich sind, gibt es bei medizinisch eingesetztem Cannabis diese negativen Nebenwirkungen nicht.
Hilfreich sein kann Cannabis etwa bei Schmerzen durch MS, Krebs oder bei neuropathischen Schmerzen.
Von der Krankenkasse bezahlt wird die Therapie erst, wenn der Betroffene alle anderen Therapieoptionen – erfolglos – durchlaufen hat. "Das dauert meist ein bis zwei Jahre. Deshalb bekommen nur etwa zehn Prozent der Patienten, denen Cannabis helfen könnte, die Therapie", bedauert Pinsger. Dabei seien die Nebenwirkungen bei jenen Patienten, die Cannabis vertragen, gleich null.
Martin Pinsger, Thomas Hartl: "Dem Schmerz entkommen – So hilft Ihnen die Cannabis-Therapie", Goldmann-Verlag, 10,30 Euro
Schmerz-Therapie
Die Cannabis-Therapie unterscheidet sich grundlegend vom „Haschisch-Rauchen“. Wer Cannabisblüten als Joint raucht, atmet mehr als 500 Pflanzeninhaltsstoffe ein, also auch die schädlichen. Die Wirkstoffmenge ist nicht dosierbar, gelangt binnen 20 Sekunden ins Gehirn und verursacht ein „High“.
Cannabis-Medikamente basieren auf Einzelsubstanzen wie dem Hanfwirkstoff THC, sind dosierbar, erreichen das Gehirn erst nach 30 bis 60 Minuten und haben eine gleichmäßigere und länger anhaltende Wirkung ohne Hochgefühl.