Darm mit Charme
Eine junge Frau schreibt über ein Organ, das mit vielen Tabus leben muss, und landet damit einen Bestseller.
Blähungen, Erbrechen, Durchfall, Verstopfung: Über Darmprobleme zu reden, ist vielen Menschen einfach nur peinlich. Für die 24-jährige Giulia Enders sind das Lieblingsthemen. Sie hat Medizin studiert und forscht für ihre Doktorarbeit am Institut für Krankenhaushygiene in Frankfurt am Main. Mit ihrem Vortrag „Darm mit Charme“ gewann sie 2012 den ersten Preis beim Science-Slam, der dann zum Youtube-Hit wurde. Jetzt ist ein Buch mit dem gleichen Titel erschienen und erobert die Bestseller-Listen. Sie schreibt über Pupsen genauso wie über Salmonellen, über die richtige Haltung auf der Toilette, über die verschiedenen Stuhl-Formen und wie das Gehirn den Darm beeinflusst.
Enders erklärt die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse in einer Sprache, die jeder versteht und über die man schmunzeln kann. „Während meines Studiums merkte ich, wie stiefmütterlich dieses Gebiet in der Medizin behandelt wird. Dabei ist der Darm ein völliges Ausnahme-Organ“, schreibt sie. Er bilde zwei Drittel des Immunsystems aus, hole Energie aus Brot und Tofu und produziere mehr als 20 eigene Hormone. Ihr Ziel: „Ich will Wissen greifbarer machen und dabei auch das verbreiten, was Wissenschafter in ihren Forschungsarbeiten schreiben.“ Der Darm sei ihr bester Freund, sagt Giulia Enders. „Er kann einem sehr gut tun und verhält sich dankbar, wenn man ihn auch gut behandelt.“ Die OÖN haben einige ihrer anschaulichen Erklärungen und Tipps zusammengestellt:
1 Die richtige Klo-Position:
Unser Klogang ist eine Meisterleistung, zwei Nervensysteme arbeiten hier gewissenhaft zusammen. Der äußere Schließmuskel ist ein treuer Mitarbeiter unseres Bewusstseins, der innere Schließmuskel vertritt die unbewusste Innenwelt. „Und diese müssen zusammenarbeiten“, erklärt Enders. Die natürliche Kloposition sei die Hocke. Warum? „Weil unser Darmverschluss-Apparat nicht so entworfen ist, dass er im Sitzen die Luke vollständig öffnet.“ Hämorrhiden und Verstopfung gebe es vor allem in Ländern, bei denen man auf einer Art Stuhl den Stuhlgang verrichte. Enders’ Tipp: auf der Toilette sitzend den Oberkörper nach vorne beugen und die Füße auf einen kleinen Hocker stellen.
2 Über das Erbrechen:
Auch Erbrechen ist eine Meisterleistung. Millionen kleine Rezeptoren testen unseren Mageninhalt, untersuchen unser Blut und verarbeiten Eindrücke vom Gehirn. „Dieses fällt dann die Entscheidung: kotzen oder nicht kotzen“, schreibt Enders. Die Art des Erbrechens verrate einiges. Ganz plötzlich und ohne Vorwarnung spricht beispielsweise für einen Magen-Darm-Virus. Bei Vergiftungen dagegen kündigt sich der Schwall meist an. Enders’ Tipps, um unnötige Kotz-Attacken zu minimieren: mit Kopfhörern Musik hören oder seitlich liegen – das beruhigt. Ingwer blockiert das Brechzentrum. Auch das Drücken des Akupunkturpunktes am inneren Handgelenk könne helfen.
3 Zum Thema gesunder Kot:
Viele denken, Kot bestehe nur aus dem, was wir gegessen haben. Das stimme nicht, schreibt Enders. Kot besteht zu drei Vierteln aus Wasser. Die festen Bestandteile sind zu einem Drittel Bakterien, ein weiteres Drittel sind unverdauliche Pflanzenfasern. „Je mehr Gemüse und Obst man isst, desto größere Häufchen kommen zusammen“, erklärt Enders. Das letzte Drittel ist ein Sammelsurium an Stoffen, die der Körper loswerden will, etwa Überbleibsel von Medikamenten.
Die natürliche Farbe des Kots ist braun bis gelbbraun. Und die Konsistenz? Um diese zu definieren, gibt es laut Enders erst seit 2007 die Bristol-Stuhlformen-Skala. Diese Einteilung lässt Rückschlüsse zu, wie langsam oder schnell unverdauliche Nahrungsbestandteile vom Darm transportiert werden.
4 Über das Immunsystem:
„Im Darm ist die Hauptbühne für das bakterielle Woodstock, und das sollte man unbedingt mal gesehen haben als Immunsystem“, schreibt Giulia Enders und erklärt, dass die Bakterien in der Darmschleimhaut sitzen. So könne das Immunsystem mit ihnen spielen, ohne dass sie gefährlich für den Körper werden. Und die Abwehrzellen können viele neue Arten kennen lernen. Trifft dann eine Immunzelle zu einem späteren Zeitpunkt außerhalb des Darms auf ein bekanntes Bakterium, kann sie schneller reagieren.
5 Über Bakterien:
Für die Sauberkeit im Darm verwendet Enders einen anschaulichen Vergleich: „Das ist wie Sauberkeit in einem Wald. Selbst die ambitionierteste Putzperson würde hier keinen Wischmopp austesten. Ein Wald ist sauber, wenn ein Gleichgewicht nützlicher Pflanzen herrscht.“
Gesäubert wird mit guten Bakterien wie Probiotika. Das sind lebendige Bakterien, die wir essen und die uns gesünder machen können. Probiotika sind in Sauerkraut, Creme fraîche, in löchrigem Käse, Salami und Oliven enthalten, aber auch in Soja und Miso-Suppe.
Präbiotika sind wiederum in Nahrungsmitteln, die den Dickdarm erreichen und dort gute Bakterien füttern, sodass diese besser wachsen als die schlechten. Präbiotische Gerichte wären Kartoffelsalat, Chicoree, Spargel, Topinambur, Artischocken und Schwarzwurzelgemüse.
Und Antibiotika sind dazu da, uns zu retten, wenn wir uns schlechte Bakterien eingefangen haben.
6 Darm und Gehirn:
Signale aus dem Darm gelangen in verschiedene Hirnbereiche, deren Zuständigkeiten Enders so zusammenfasst: Ich-Gefühl, Gefühlsverarbeitung, Moral, Angstempfinden, Gedächtnis und Motivation.
„Das bedeutet nicht, dass unser Darm unsere moralischen Gedanken steuert – es räumt ihm aber die Möglichkeit ein, diese zu beeinflussen.“ Der wichtigste und schnellste Weg vom Darm zum Gehirn ist der Nervus vagus. „Und man konnte in Versuchen feststellen, dass sich Probanden wahlweise wohlfühlten oder Angst bekamen, wenn der Nerv mit einer bestimmten Frequenz stimuliert wurde“, schreibt Enders. Mit ihrer bildhaften Sprache beschreibt sie, wie das Gehirn zu Informationen kommt. „Der Darm befindet sich mitten im Getümmel, er kennt alle Moleküle aus unserem letzten Essen, fängt Hormone neugierig im Blut ab, fragt die Immunzellen nach ihrem Tag oder lauscht andächtig dem Surren der Darmbakterien. Er kann dem Gehirn Dinge über uns erzählen, von denen es sonst keine Ahnung hätte.“
Der Darm ist einfach eine riesige Matrix – er empfindet unser Innenleben und arbeitet im Unterbewusstsein.
Buchtipp: Giulia Enders: „Darm mit Charme. Alles über ein unterschätztes Organ“, Ullstein-Verlag, 288 Seiten, 17,50 Euro.
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