Ein Weltbild, nach Zahlen gemalt
Was wäre eine Welt ohne Zahlen? Wie wüssten wir, wie alt wir sind, womit würden wir rechnen, wie ginge ein Fußballspiel aus, womit würden wir zahlenlos zahlen? Zahlen beschäftigen uns – und die Mystiker, die ihnen eine tiefere Bedeutung angedeihen lassen.
Zahlen sind Teil des Lebens. Sie ordnen, erlauben Vergleiche, messen, geben Halt. Wenn wir rechnen, sind sie allgegenwärtig. Spricht jemand von nackten Zahlen, meint er, etwas unverhüllt, also wirklich darzustellen. Es ließe sich erwidern, dass Zahlen allein nicht alles ausdrückten, auch hinter sie geblickt werden müsse.
Die Zahlenmystik macht mehr als das. Sie lädt mit Bedeutung auf, schreibt Zahlen Eigenschaften, eine symbolische Funktion zu. Religionen bedienen sich ihrer ebenso wie Brauchtum und Aberglaube. Selbst im Alltag finden sie Unterschlupf, wenn zum Beispiel runde Geburtstage ein besonderes Mascherl erhalten, der 30er als richtungsweisender Einschnitt, der 40er mit altersdepressivem Anflug oder der 50er grenzenlos optimistisch als Halbzeit begossen werden.
Den Hochzeitstagen zugeschriebene Namen können ebenfalls gedeutet werden. Nach einem Jahr der ehelichen Verbundenheit spricht man von der Papierhochzeit – noch erscheint die Beziehung wie ein unbeschriebenes, zartes Blatt Papier. Wer die kupferne Hochzeit nicht so versteht, dass das Gemeinsame aufpoliert gehört, um es von Patina zu befreien, wird daran erinnert, dass das siebente Jahr ein verflixtes sein kann.
Das Spiel mit den Zahlen ist auf den vorsokratischen griechischen Denker Pythagoras von Samos zurückzuführen, der im sechsten Jahrhundert vor Christus behauptete: „Die Zahl ist das Maß aller Dinge“. Der Philosoph betrachtete Zahlen nicht als Instrument einer Wissenschaft, die sich mit Quantitäten befasst. Er maß ihnen eine qualitative Bedeutung bei, die nichtmathematische Eigenschaften ausdrückten. Geraden Zahlen wies er Merkmale wie weiblich, unbegrenzt, krumm, böse zu, den ungeraden die Gegensätze männlich, begrenzt, gerade, gut. Seine numerische Auslegung der kosmischen Ordnung findet eine Entsprechung in der chinesischen Philosophie mit Yin und Yang, die gegensätzliche, aber dennoch aufeinander bezogene, sich ergänzende Kräfte beschreiben.
Ein Buchstabe, eine Zahl
Ausgehend davon ist die Zahlensymbolik in verschiedene Kulturen eingedrungen. In der Kabbala, einer im Mittelalter entstandenen mystischen Tradition des Judentums, werden Wörter mithilfe von Zahlen interpretiert. Bei der Gematrie genannten Methode ordneten die Kabbalisten den 22 Buchstaben des hebräischen Alphabets Zahlen zu, um über Wörter durch die Summierung der Buchstabenwerte neue Erkenntnisse etwa aus der Schriftensammlung zu gewinnen.
In der christlichen Bibel tummeln sich Zahlen zuhauf. „Du aber hast alles nach Maß, Zahl und Gewicht geordnet“, heißt es im Buch der Weisheit. Die Trinität in der christlichen Theologie, die Einheit Gottes in drei Personen, taucht schon in früheren Kulturen auf. Im griechischen und römischen Götterglauben manifestiert sie sich in der Dreiteilung in Himmel (mit Zeus bzw. Jupiter), Meer (Poseidon bzw. Neptun) und Unterwelt (Hades bzw. Pluto). An der Krippe fanden sich drei Könige ein, die Auferstehung Jesu datiert mit dem dritten Tag nach der Kreuzigung. „Aller guten Dinge sind drei“, lautet eine beliebte Floskel, die ihre Ergänzung darin findet, dass jemand nicht bis drei zählen kann, wenn er für unbedarft gehalten wird.
Und was wäre der Aberglaube, gäbe es keine Zahlen. Betrachten wir die 13, die Unheilbringende. Ihr Nimbus hat sich derart im Denken (oder besser im Nichtdenken) eingefräst, dass Hotels das 13. Stockwerk nicht als solches benennen und Fluglinien in ihren Jets auf die zwölfte die vierzehnte Sitzreihe folgen lassen.
Das Unglück der 13 ist dabei kein globales. In Japan, Korea und China gilt die Vier als Unglückszahl, weil sie in der Aussprache dem Wort für Tod ähnelt. Abergläubische Italiener wiederum fürchten sich vor der 17 – weil die römische Zahl XVII ein Anagramm zu VIXI ist, das im Lateinischen „ich habe gelebt“ bedeutet. Da gegen Aberglaube schwer anzukommen ist, verkaufte der französische Autohersteller Renault sein Modell R17 in Italien als R177.
Verschwörungstheoretiker verneigen sich vor der 23, die der kurzlebigen Geheimgesellschaft der Illuminaten in die Schuhe geschoben wird. Dass diese Zahl Unglück bringe, beweise der Terroranschlag in New York am 9. 11. 2001: 9 plus 11 plus 2 plus 1 ergibt 23.
Womit sich die Quintessenz der Zahlenmystik erschließt: Alles eine Frage des Glaubens.
Was dahintersteckt
Aus der Sicht der Naturwissenschaft wuchert die Zahlenmystik auf esoterischem Boden. Die Numerologie etwa übt sich darin, aus dem Geburtsdatum eines Menschen dessen Schicksals- oder Lebenszahl zu berechnen, indem sie mit Quersummen arbeitet. Ein Beispiel: Donald Trump kam am 14. 06. 1946 zur Welt. Nun wird addiert: 1+4+0+6+1+9+4+6. Daraus ergibt sich die Ziffernsumme 31. Da sie zweistellig ist, wird weiter addiert: 3+1=4. Folglich ist die 4 die Schicksalszahl des US-Präsidenten und soll seine Eigenschaften darstellen.
Dass es die Numerologie mit der Interpretation nicht ganz genau nimmt, darf aus abweichenden Auslegungen geschlossen werden, die sich auf Webseiten finden, die Namen wie "engelmagazin", "herzvertrauen" oder "ewigeweisheit" in ihre Internetadresse packen. Die Zahl stehe für Zuverlässigkeit und Stabilität, die dazugehörige Person tauge als Familienmensch, auch Gerechtigkeitssinn, Aufrichtigkeit und Ausdauer seien ihr eigen. Wenn man dann über "plötzliche Stimmungsschwankungen und Sprunghaftigkeit" liest, kann einem das im Trump-Fall schon ein beipflichtendes Nicken abringen. Bei "harmoniebedürftig und gerechtigkeitsliebend" mag man hingegen den Kopf schütteln.
Kritiker der Numerologie stoßen sich an der Berechnung der Schicksalszahl. Werden andere Kalender als Maßstab genommen, erhalte man in der Addition andere Ergebnisse und damit unterschiedliche Bedeutungen.
Zahlen (Bei)spiele
- 1 - In der Bibel wird diese Zahl mit dem Göttlichen in Verbindung gebracht, dem einen Gott, neben dem die Menschen gebotsmäßig keine anderen Götter haben sollen.
- 7 - Die Sieben findet sich in mehreren Religionen wieder. In der Schöpfungsgeschichte ruht Gott am siebenten Tag. In der jüdischen Tradition ist der Sabbat der siebente Tag der Woche, der symbolische Leuchter Menora hat sieben Arme.
Das Christentum sieht in der Zahl die Verbindung zwischen der göttlichen Dreifaltigkeit und den vier Elementen (Erde, Feuer, Wasser, Luft). In der Offenbarung des Johannes im Neuen Testament kommen die sieben Plagen der Endzeit vor. Den sieben Tugenden (Glaube, Hoffnung, Liebe, Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit, Mäßigung) stehen sieben Laster (Stolz, Geiz, Wollust, Neid, Völlerei, Zorn, Trägheit) gegenüber. Für Muslime ist der Siebente Himmel Ort der letzten Verklärung. Mekka-Pilger umkreisen die heilige Kaaba sieben Mal. - 12 - Das Dutzend ist allgegenwärtig, von der griechischen Mythologie (zwölf Aufgaben für den Helden Herkules) bis zum Neuen Testament mit den zwölf Stämmen Israels, den zwölf Aposteln. Das Kalenderjahr teilt sich in zwölf Monate und zwölf Tierkreiszeichen. Die Fahne der EU zeigt zwölf goldene Sterne als Symbol für Vollkommenheit, Vollständigkeit und Einheit.
- 40 - In drei Evangelien führt der Geist Jesus 40 Tage in die Wüste, wo er den Versuchungen des Teufels widersteht. 40 Tage währte die Sintflut. Moses verbrachte 40 Tage auf dem Berg Sinai. Nach dem Auszug aus Ägypten wanderte das Volk Israel 40 Jahre durch die Wüste. 40 Tage dauert die Fastenzeit von Aschermittwoch bis Ostern.
- 666 - "Hier ist die Weisheit. Wer Verständnis hat, berechne die Zahl des Tieres; denn es ist eines Menschen Zahl; und seine Zahl ist sechshundertsechsundsechzig", heißt es in der Offenbarung des Johannes. Die Deutungen der Zahl reichen vom Antichrist bis zu Kaiser Nero, der im römischen Reich die Christen verfolgen ließ. Der englische Okkultist und Autor Aleister Crowley befasste sich mit Satanismus, nannte sich selbst "das große Biest 666".
- 88 - Das gematrische Prinzip, Buchstaben Zahlen zuzuordnen, dient bisweilen abseits jeder Mystik schlicht als Tarnung für Botschaften. Neonazis verschlüsseln zum Beispiel mit der Zahl 88 den Hitlergruß. Das H ist der achte Buchstabe im Alphabet.
Was Zahlen erzählen
Von Andreas Krenn
Es verwundert ja schon, dass unsere Sprache Erzählungen mit Zählen in Verbindung bringt. Hat doch gerade das Erzählte – ob es nun Märchen, Mythen oder Sagen oder ob es Geschichten aus dem Leben, aus alten Zeiten oder aus fernen Ländern sind – mit nüchternen Zahlen auf den ersten Blick so überhaupt nichts zu tun.
Anders als Fakten und Sachberichte berühren uns Erzählungen irgendwie, sie ziehen in den Bann, man möchte mehr davon. Soll dies an Zahlen liegen? In der Sprache des Alten Testamentes, wo ja auch die christliche Kultur und Religion ihre Wurzeln hat, im Hebräischen also, sind Buchstaben tatsächlich zugleich auch Zahlen. Jeder Buchstabe hat dort einen Zahlenwert. Und ein Wort ist daher nicht nur eine (sinnvolle) Einheit von Buchstaben, sondern auch eine (sinnvolle) Folge von Zahlen.
In den Zahlen können wir – ähnlich einer Formel – die Grundstruktur eines Buchstabens oder Wortes sehen, in ihnen zeigt sich eine tieferliegende, verborgene Bedeutung. Diese Bedeutung schwingt, ohne dass wir uns dessen bewusst sind, stets mit. Die Frage ist nur, ob wir für eine Erzählung offen sind, ob wir danach Sehnsucht verspüren.
Die EINS
Der erste Buchstabe des hebräischen Alphabets ("Aleph") ist auch die Zahl EINS. Gemeint ist die EINS, außerhalb derer es nichts gibt. In der EINS ist alles, oder anders gesagt: alles ist EINS – ALLein. Ein Urzustand sozusagen, noch vor Zeit und Raum, jenseitig. Dass diese EINS eigentlich in Sprache nicht fassbar ist, kommt schon darin zum Ausdruck, dass der hebräische Buchstabe für die EINS keinen Laut hat. Ist wirkliches Eins-Sein nur im Schweigen möglich?
Der zweite hebräische Buchstabe ("Beth") ist die Zahl ZWEI. Die ZWEI kommt zustande durch das Auseinanderbrechen der EINS. Ein gewaltiges Ereignis, ein Urknall. Eine vollkommen neue Welt entsteht, die das Prinzip der ZWEI in sich trägt, die ZWEI als Gegensatz (Licht und Finsternis, männlich und weiblich, positiv und negativ …).
Eine Welt, die nur Bestand hat, weil und solange es jeweils zwei gegensätzliche Pole gibt. Mit der ZWEI hat die Entfaltung, die Entwicklung begonnen, die sich entlang der Zahlenreihe fortsetzt – bis hin zu einer letztlich unüberschaubaren Vielfalt, wie die Natur sie zeigt. So gesehen erzählen die Zahlen vom Rollout der jenseitigen EINS in die diesseitige Welt.
Das Angebot der 13
Das hebräische Wort für EINS ("Echad") baut sich aus den Buchstaben mit den Zahlen 1-8-4. Das ergibt in Summe 13. Das erzählt uns: Eins, ganz und somit heil wird eine Sache erst mit 13. Die 12 als Maßeinheit der Welt, wie zum Beispiel die 12 Monate eines Jahres, erfasst nicht die ganze Wirklichkeit.
Es gibt immer wieder Ausnahmen, Rätsel, Zufälle, überraschende Wendungen und manchmal sogar das Wunder – das alles meint die 13. Sie zeigt sich in dieser Welt nur teilweise und nur vorübergehend. Es liegt somit auch an mir, ob und wie weit ich mich für solche Momente öffnen mag.
In diesem Sinn: Viel Freude mit der 13!
Andreas Krenn ist Kanzleileiter am Diözesangericht Linz. Er studierte Altphilologie und Theologie und beschäftigt sich seit einigen Jahren mit Althebräisch.
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