Aus Frühling wurde strenger Winter
PRAG. Alexander Dubcek wollte dem Sozialismus der Tschechoslowakei Menschlichkeit verleihen. Doch am 21. August 1968 wurde der "Prager Frühling" mit Sowjet-Panzern niedergewalzt.
Vor 50 Jahren trat in der Tschechoslowakei ein einmaliges Reformprojekt in seine Hochphase. Der "Prager Frühling" sollte zum "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" führen. Die Monate galten als Zeit der Hoffnung, die aber im August 1968 jäh endete.
Schon am 5. Jänner hatte Alexander Dubcek den Posten des Ersten Sekretärs der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei (KPC) übernommen. Er, der slowakische KP-Chef, löste Antonin Novotny an der Spitze der KPC ab. Dubcek war Idealist. Er hielt den Sozialismus zwar für die beste Gesellschaftsform, allerdings nicht so wie ihn der Kreml praktizierte.
Und der Neue gab schon rasch der Politik eine neue Richtung. Erst einen Monat im Amt lockerte er die Pressezensur. Selbst Kommentare aus der ausländischen Presse wurden gedruckt. Und Dubcek strebte weitere Reformen an. Am 5. April verabschiedete die KPC ein "Aktionsprogramm", das die Regierung binnen zwei Jahren umsetzen sollte. Die Partei verzichtete – ein Novum – auf ihr Machtmonopol. Sie räumte Bürgern umfangreiche Freiheiten ein. Unter anderem das Recht, sich zu versammeln und frei zu reden.
Euphorie – vor allem der Jugend
Sogar liberale Wirtschaftsreformen sah das neue Programm vor: Kleine und mittelgroße Betriebe sollten sich von staatlichen Vorgaben lösen können. Geradezu euphorisch bejubelten die Menschen, vor allem die Jungen, den Reformer Dubcek.
Doch die Strategen im Kreml jubelten nicht. Es drohe die Spaltung des Warschauer Paktes, so ihre düstere Prognose. Relativ früh wurde deshalb auch über eine militärische Lösung nachgedacht. Schon am 23. März forderte Leonid Breschnew Dubcek auf, das Machtmonopol der KPC wiederherzustellen. "Wenn das nicht möglich ist oder Sie das als falsch betrachten, dann können wir gegenüber der Entwicklung in der Tschechoslowakei trotzdem nicht teilnahmslos bleiben", drohte der Staats- und Parteichef der KPdSU.
Demokratie – nur ohne KP
Doch Dubcek ließ sich nicht beirren. Die Spannung stieg, als der Schriftsteller Ludvík Vaculík am 27. Juni das "Manifest der 2000 Worte" – von 68 Intellektuellen unterzeichnet – veröffentlichte. Sie forderten weitreichende politische und gesellschaftliche Reformen. Das Fass zum Überlaufen brachte wohl die Ansage: Demokratie sei nur ohne KP möglich.
Ungeachtet dessen bemühte sich Breschnew lange um eine politische Lösung. Er ließ Dubcek nur ungern fallen. Und tat es schließlich doch. Am 21. August rollten die Panzer mehrerer Warschauer-Pakt-Staaten (Sowjetunion, Polen, Ungarn und Bulgarien) durch Prag.
Dubcek und hochrangige Regierungsmitglieder wurden festgenommen und nach Moskau gebracht. Kurze Zeit durfte Dubcek dennoch Generalsekretär bleiben, aber die Reformen des "Prager Frühlings" musste er zurücknehmen. Und der Spalt im Eisernen Vorhang blieb damit für weitere zwei Jahrzehnte geschlossen.
Realsozialistische Eigendynamik
Wer 1968 sagt, denkt zumeist automatisch an Studentenunruhen, Bürgerrechtsbewegungen und die Generationenrevolte. Da war aber auch noch der „Prager Frühling“ in der damaligen Tschechoslowakei. Für den sowjetisch dominierten Ostblock war das eine Art politisches Erdbeben, das nicht zuletzt auch einen entscheidenden Anteil am Fall des Eisernen Vorhangs 1989/90 hatte.
Erstes sichtbares Zeichen des rasanten Reformprozesses in der CSSR war der Sturz von KP-Chef Antonin Novotny. An seine Stelle trat der Reformkommunist Alexander Dubcek. Zweite wichtige Wegmarke war dann der 4. März 1968 mit der Abschaffung der Zensur.
Unmittelbar danach kam es, so der Münchner Historiker Martin Schulze Wessel in seinem hervorragenden Buch, „zu einer explosionsartigen Entfaltung von Öffentlichkeit“. Ein „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ schien plötzlich möglich. Über Nacht gab es keine Tabus mehr. Wie das sozialistische Experiment letztlich ausgegangen wäre, werden wir nie erfahren, da die Panzer des Warschauer Paktes Ende August alles zunichte machten.
Dieses wichtige Buch zeichnet einerseits gekonnt die aufregenden Monate in der CSSR nach – und es erzählt andererseits ungemein detailliert die sehr lange und beeindruckende Vorgeschichte des Prager Frühlings. (schuh)
Martin Schulze Wessel: Der Prager Frühling, Reclam Verlag, 324 Seiten, 28,80 Euro
Wenn in der Politik der Name "Frühling" verwendet wird, bedeutet es NIE etwas Gutes! "Prager Frühling" und "Arabischer Frühling" sollten zu denken geben!
"Am 21. August rollten die Panzer mehrerer Warschauer-Pakt-Staaten (Sowjetunion, Polen, Ungarn und Bulgarien) durch Prag."
......und wer glaubt, dass die es freiwillig taten oder dagegen etwas unternehmen hätten können - der irrt sich gewaltig.